09 November 2013

Bürokratie und Korruption

Man sagt den brasilianischen Politikern nach, daß sie problemkreierende Gesetze schaffen, um
die Lösungen anschließend teuer zu verkaufen. Dazu paßt der hier übliche Ausspruch: Für unsere
Freunde alles, für unsere Feinde das Gesetz! Am sichtbarsten für den Laien wird die Bürokratie,
wenn es um die Beglaubigung von Unterschriften auf einem sogenannten cartório geht. Ohne
solche Beglaubigungen, der persönlichen CPF - Steuernummer und bei Mietverträgen auch Bürgen
kann man als Privatmann sozusagen einpacken. Und für Firmen gilt ähnliches, ohne CNPJ -
Steuernummer, Negativbescheinigungen (certidões negativas), mit denen die Behörden bestätigen,
daß z.B. alle Steuern bezahlt worden sind und keine Wechselproteste, geplatzte Schecks
oder Konkursanträge vorliegen, sind kaum Geschäfte zu machen. Man fühlt den Großen Bruder,
wie er einem misstrauisch über die Schulter guckt und überall Betrugsversuche am Staat vermutet.
Übrigens nicht zu ganz zu Unrecht, wie die Betrugsfälle der Vergangenheit z.B. im Sozialversicherungswesen zeigen, wo Milliardenbeträge (korrekt, Milliarden, nicht Millionen) von unehrlichen Beitragszahlern, Beamten, Anwälten und Richtern (!) abgezweigt wurden. Deshalb werden ab und zu alle Rentenempfänger oder alle CPF - Steuernummerinhaber neu registriert, um die
schwarzen Schafe auszusortieren. Und deshalb war der ungewollte Nebeneffekt der CPMF -
Steuer, nämlich die computerisierte Plausibilitätskontrolle der Einkommenssteuererklärungen anhand
der Kontenbewegungen und Kreditkartenabrechnungen der Bürger, dem Finanzamt und anderen Behörden höchst willkommen. Was neben den sprudelnden Einnahmen aus dieser Quelle aus dieser provisorischen Steuer zur Sanierung des Gesundheitswesens eine ziemlich permanente
gemacht hatte, bis dann doch abgeschafft wurde.

Wenn es Probleme gibt, müssen diese erkannt werden. Und um sie zu erkennen, schicken die Behörden Prüfer, hier fiscais genannt, in die Firmen. Und diese finden immer Unregelmäßigkeiten,
selbst bei ehrlich geführten Unternehmen. Denn die Gesetze sind derart kompliziert und dynamisch
und zum Teil widersprüchlich, daß es eigentlich unmöglich ist, es dem Gesetzesgeber immer
recht zu machen. Die Konsequenz daraus sind Prüfer, die ein Auge zudrücken - natürlich
nicht kostenlos - und anschließend einen Kollegen der Nachbarabteilung schicken, natürlich mit
dem Hinweis, daß bei dieser Firma etwas zu holen sei. Empfehlung: Nie zahlen! Lieber klagen oder
z.B. Ware im Zoll versteigern lassen. Sonst wird aus der ersten „Freundlichkeit“ gegenüber
dem Prüfer eine Schraube ohne Ende.

Ein Beispiel dafür, wie selbst Kleinigkeiten nach europäischem Maßstab teuer werden können, ist
die Vorschrift, daß jeder Warentransport, auch über die öffentliche Straße von Fabrik I nach Fabrik
II, von einer Rechnung begleitet werden muß; einer Rechnung, die früher nur auf einem vom Finanzamt zum Drucken freigegeben nummerierten Formular erstellt sein muss - heute gibt es schon eine elektronische Version. Wie oft werden Lkw auf der Straße angehalten und geprüft und wie oft zahlt der Fahrer, um trotz fehlender Rechnung weiterfahren zu dürfen! Wobei es schlimmer ist, dass er sich auch bei Überladung des Fahrzeuges oft freikaufen kann.

In einer Untersuchung, die für einen deutschen Konzern gemacht wurde, stellte es sich heraus,
dass die brasilianische Tochter mit ca. 1000 Mitarbeitern gegenüber einer gleichen deutschen
Firma aufgrund der Bürokratie ungefähr 100 Angestellte mehr beschäftigte. Der Grund lag in einem
gegenüber Deutschland erhöhtem Verwaltungsaufwand, der wiederum eine Folge der sich
ständig wechselnden Regeln war, die einem das tägliche Leben in Brasilien schwer machen. Viele
dieser Regeln sind sogar in der Verfassung Brasiliens niedergeschrieben, die weit ausführlicher
als die anderer Staaten ist und daher alles andere als ein Grundgesetz ist.

Das die Korruption tiefe Wurzeln in Brasilien geschlagen hat, zeigt die Titelseite des O ESTADO DE SÃO PAULO von heute:
Praktisch alle Themen der ersten Seite behandeln Korruptionsfälle in der Grössenordnung von einer Milliarde R$! Wir brauchen einen brasilianischen Baron von Münchhausen als erwachener Riese, wie Brasilien gerne von der Präsidentin bezeichnet wird, der sich an den eigenen Haaren aus dem Schlamm zieht.

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