In den letzten Wochen haben mich Kunden gebeten, beim Rückbau ihrer
Aktivitäten in Brasilien zu helfen. Andere wiederum haben innerhalb von vier
Wochen auf drei Messen ausgestellt und wollen meine Hilfe beim Aufbau ihrer
Aktivitäten in Brasilien in Anspruch nehmen. Wie ist dieser Widerspruch zu
erklären und welche Schlüsse kann man daraus ziehen?
Widmen wir uns zunächst dem Rückzug einiger Kunden, der durchaus
verständlich wird, wenn man sich die jüngste wirtschaftliche und politische
Entwicklung Brasiliens betrachtet. Die Weltfinanzkrise von 2009 ist zwar
halbwegs überwunden, aber die allgemeine globale Situation ist nicht unbedingt
besser geworden. Und gerade in Brasilien, wo die Bevölkerung auf 204 Millionen
angewachsen ist und wir Wirtschaftswachstum benötigen, um ausreichend Lohn und
Brot anbieten zu können, schrumpft das Bruttoinlandsprodukt. Unser produktiver
Sektor ist Dank einer völlig verfehlten Industriepolitik der brasilianischen
Regierung wieder auf dem Niveau von 2009 angekommen und die aktuelle starke
Entwertung des R$ hat sich noch nicht positiv auf unser Exportgeschäft
ausgewirkt, aber den Import erheblich verteuert – wobei man wissen muss, dass
unsere Industrie auf Importe angewiesen ist. Teure Rohmaterialien verteuern die
Endprodukte und sorgen zusammen mit anderen Faktoren für eine Inflation von zur
Zeit ungefähr 10 % im Jahr, die von der Zentralbank durch extrem hohe Zinsen
bekämpft wird. Diese beeinträchtigen den Konsum und die
Investitionsbereitschaft, eine Schraube ohne Ende.
Im ersten Halbjahr 2015 ging gegenüber dem Vorjahresvergleichszeitraum die
industrielle Produktion Brasiliens um 6,3 % zurück, der durchschnittliche
Realumsatz schrumpfte um 7 % und die gearbeitete Zeit um 8,6 %. Im Maschinen-
und Anlagenbau betrug die Auslastung der installierten Kapazität nur 65.6 %, so
niedrig wie seit März 1999 nicht mehr. Die Auslastung in der gesamten Industrie
ging um 1,3 % zurück und die Reallohn- und Gehaltssumme um 4,5 %. Eine
Besserung ist noch nicht in Sicht, weil viele Unternehmen noch zu hohe Bestände
haben und diese abbauen müssen. Was zwangsläufig auch zu einem Personalabbau
führt, der Konfektionssektor z.B. wird dieses Jahr wohl 65.000 Mitarbeiter
entlassen, davon 18.000 im Bundesstaat São Paulo, wo im ersten Halbjahr bereits
150 Betriebe geschlossen haben, ihre Marke aber durch Chinaimporte am Leben
erhalten.
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