03 September 2015

Warum Brasilien nicht aufgegeben werden darf

In den letzten Wochen haben mich Kunden gebeten, beim Rückbau ihrer Aktivitäten in Brasilien zu helfen. Andere wiederum haben innerhalb von vier Wochen auf drei Messen ausgestellt und wollen meine Hilfe beim Aufbau ihrer Aktivitäten in Brasilien in Anspruch nehmen. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären und welche Schlüsse kann man daraus ziehen?

Widmen wir uns zunächst dem Rückzug einiger Kunden, der durchaus verständlich wird, wenn man sich die jüngste wirtschaftliche und politische Entwicklung Brasiliens betrachtet. Die Weltfinanzkrise von 2009 ist zwar halbwegs überwunden, aber die allgemeine globale Situation ist nicht unbedingt besser geworden. Und gerade in Brasilien, wo die Bevölkerung auf 204 Millionen angewachsen ist und wir Wirtschaftswachstum benötigen, um ausreichend Lohn und Brot anbieten zu können, schrumpft das Bruttoinlandsprodukt. Unser produktiver Sektor ist Dank einer völlig verfehlten Industriepolitik der brasilianischen Regierung wieder auf dem Niveau von 2009 angekommen und die aktuelle starke Entwertung des R$ hat sich noch nicht positiv auf unser Exportgeschäft ausgewirkt, aber den Import erheblich verteuert – wobei man wissen muss, dass unsere Industrie auf Importe angewiesen ist. Teure Rohmaterialien verteuern die Endprodukte und sorgen zusammen mit anderen Faktoren für eine Inflation von zur Zeit ungefähr 10 % im Jahr, die von der Zentralbank durch extrem hohe Zinsen bekämpft wird. Diese beeinträchtigen den Konsum und die Investitionsbereitschaft, eine Schraube ohne Ende.


Im ersten Halbjahr 2015 ging gegenüber dem Vorjahresvergleichszeitraum die industrielle Produktion Brasiliens um 6,3 % zurück, der durchschnittliche Realumsatz schrumpfte um 7 % und die gearbeitete Zeit um 8,6 %. Im Maschinen- und Anlagenbau betrug die Auslastung der installierten Kapazität nur 65.6 %, so niedrig wie seit März 1999 nicht mehr. Die Auslastung in der gesamten Industrie ging um 1,3 % zurück und die Reallohn- und Gehaltssumme um 4,5 %. Eine Besserung ist noch nicht in Sicht, weil viele Unternehmen noch zu hohe Bestände haben und diese abbauen müssen. Was zwangsläufig auch zu einem Personalabbau führt, der Konfektionssektor z.B. wird dieses Jahr wohl 65.000 Mitarbeiter entlassen, davon 18.000 im Bundesstaat São Paulo, wo im ersten Halbjahr bereits 150 Betriebe geschlossen haben, ihre Marke aber durch Chinaimporte am Leben erhalten.

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