04 Juni 2016

Ist Brasilien noch zu retten?

Diese Frage ist berechtigt, wenn man hier täglich die Nachrichten hört und sieht und die Zeitung liest. Jeden Tag wird man mit neuen Enthüllungen über Korruption und Misswirtschaft bombardiert und ärgert sich über das egoistische Verhalten der Mehrzahl unserer Politiker, die nicht das Wohl Brasiliens, sondern ihr eigenes im Auge haben und bei der Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele auch vor kriminellen Machenschaften nicht zurückschrecken - all zulange hatte dieses Verhalten keinerlei negative Folgen für die politischen Straftäter.

Das hat sich seit den Lava Jato - Ermittlungen gewaltig geändert, auf einmal werden reiche Unternehmer und mächtige Politiker und deren Mittelsmänner nicht nur verurteilt, sondern auch tatsächlich in's Gefängnis gesteckt oder ihres Amtes enthoben. Und die bisher schweigende Mehrheit artikuliert sich und läßt sich nicht mehr alles geduldig gefallen.

Trotzdem sind wir erst am Anfang eines Reinigungsprozesses, der noch viele Jahre dauern wird - die Oligarchie und Korruption gibt es seit Anbeginn der Kolonisierung Brasiliens und wer daraus Vorteile zieht, verteidigt diese mit Händen und Füßen. Nur so ist der erbitterte Widerstand gegen längst überfällige Reformen zu verstehen, der von Politikern, Gewerkschaftlern, Künstlern und sogenannten Intellektuellen geleistet wird.

Die vorläufige Übergangsregierung unter Michel Temer ist nicht frei von diesen Einflüssen. Selbst wenn man dem aktuellen Präsidenten alle guten Absichten dieser Welt unterstellt, so muss er doch mit den Politikern arbeiten, die vorhanden sind und von denen vor kurzem noch viele der alten Regierungskoalition angehörten, deren Taten sie jetzt verdammen.

Leider hat sich Temer in den ersten Wochen seiner Amtsübernahme schwach gezeigt, nach starken Worten kamen Rückzieher; so beugte er sich dem Aufschrei einiger linksorientierter Künstler und schuf das gerade abgeschaffte Kulturministerium neu. Der Ankündigung, viele der sogenannten Vertrauenspositionen im Regierungsapparat, heute mehrheitlich von Anhängern der PT besetzt, abzuschaffen, folgte die Ankündigung der Schaffung neuer Planstellen im Öffentlichen Dienst. Und dem Sparappell folgte eine Anhebung der Bezüge der Mitarbeiter dieses Bereiches, trotz eines Haushaltsdefizits von 170 Mrd. R$.

Hier zeigt sich eben, dass Temer nur ein Politiker und kein Staatsmann ist. Ein Staatsmann tut das, was nötig ist und überzeugt durch seine Führungsqualitäten die Bevölkerung von der Notwendigkeit seiner Massnahmen. Ein solcher Staatsmann könnte zum Beispiel ein weitreichendes Privatisierungsprogramm in Gang setzen und selbst die Petrobrás dem Einfluss des Staates entziehen. Dann wäre der Korruptionssumpf schon fast trockengelegt, denn ohne Staatsfirmen gäbe es keine Möglichkeit mehr für kriminelle Politiker und Manager, diesen Geld zu entziehen.

Ein solcher Staatsmann könnte auch Reformen erzwingen und dafür sorgen, dass die Altersversorgung von Mitarbeitern der Privatwirtschaft und der Öffentlichen Hand an einander angepasst würden, Privilegien wie die Weiterzahlung der Rente eines verstorbenen Militärs an seine unverheiratete Tochter abgeschafft würden, ein Mindestalter für die Auszahlung der Rente gelten würde und ein Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben gefunden wird. Und er könnte die Steuer- und Arbeitsgesetzgebung vereinfachen, das Präsidialsystem abschaffen und damit die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums schaffen, die Anzahl der Parteien im Parlament drastisch durch eine Fünfprozentklausel verringern, den unsinnigen Local content - Zwang aufheben und Brasilien in die Weltwirtschaft integrieren, das Gesundheitssystem, die Infrastruktur und vor allem unser Ausbildungssystem verbessern.

Was ich an letzter Stelle nannte, ist die wichtigste Maßnahme. Denn Brasilien kann vor allem durch gut ausbildete und ebenso gut informierte Bürger gerettet werden! Und deshalb sollte sich der im Augenblick leider nicht vorhandene Staatsmann darum kümmern, dass alle Brasilianer in der Lage sind, die populistischen und egoistischen Manöver vieler unserer Politiker zu durchschauen und zu durchkreuzen. Und so lange dieser Staatsmann, der natürlich auch eine Frau sein kann, nicht auftaucht, sollten wir Michel Temer unterstützen - wir haben keinen anderen.

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