12 Januar 2006

Rückblick auf 2005 und Ausblick auf 2006

Vor meinem Umzug nach Südafrika Ende 1982 mußte ich den südafrikanischen Konsul in São Paulo aufsuchen, der auf mein höfliches “How do you do?” mit einem “Not too bad” antwortete. Daran mußte ich jetzt denken, als ich mir überlegte, was es rückblickend über das abgelaufene Jahr zu sagen gäbe. 2005 war wirklich „not too bad“, aber es hätte noch besser sein können, wären da nicht die Regierung und die Zentralbank, die unbeirrt an immer weiter steigenden Leitzinsen (Jahresanfang 16 %, Jahresmitte 19,75 %, Jahresende 18 %) festhielten und den Höhenflug des Real sicher insgeheim wegen der Staatsverschuldung in ansehnlichen Dollarbeträgen begrüßten.

Brasilien hat trotz des starken Real Waren für 118 Mrd. US$ exportieren können, also 23,1 % mehr als 2004, und erreichte damit einen Handelsbilanzüberschuß von 44,8 Mrd. US$, ein anerkennenswerter Rekord. Aber fragen Sie mal die Exporteure, ob sie außer Umsatz auch Gewinn gemacht haben. Für 2006 erwartet die Regierung 132 Mrd. US$, was immerhin noch 11 % Zuwachs wären. Diese Prognose geht von einem Dollarkurs zwischen 2,20 und 2,55 R$ aus.

Die größten Exporteure waren Petrobrás (6,957 Mrd. US$), Vale do Rio Doce (4,260 Mrd. US$), Embraer (2,737 Mrd. US$), Bunge (2,021 Mrd. US$) und VW (1,963 Mrd. US$). Der brasilianische Außenhandelsverband AEB schätzt, daß 60 bis 70 % des Exportes auf Firmen mit ausländischem Kapital entfällt, eine Konsequenz der Privatisierungen und der Liberalisierung des Handels. Der Sojaexport liegt fast vollständig in der Hand multinationaler Konzerne wie Cargill und Bunge, während z.B. der Schuhsektor, der eine Mittelstandsdomäne ist, von den Konzernen links liegengelassen wird. 2005 gaben ca. 1000 mittelständische Unternehmen den Export wegen des starken Real auf, 2006 werden es nach Einschätzung des Verbandes bis zu 500 sein. Eigentlicher Grund ist der fehlende Zugang zu moderner Technologie. Diese Firmen werden Ziel von kaufwilligen Ausländern sein, die diese dann durch den Einsatz besagter Technologie international wettbewerbsfähig machen werden.

Solche Vorhersagen sind interessant, aber meist falsch. So wurde der Handelsbilanzüberschuß Anfang Januar 2005 auf 26,1 Mrd. US$ geschätzt, in Wirklichkeit lag er 70 % höher. Der Grund liegt u.a. daran, daß Ministerien und Zentralbanken Volkswirte beschäftigen, die nicht daran dachten, daß Firmen Kosten senken und neue Märkte erobern können.

Aber es gab nicht nur Gewinner beim Export (was Zuwächse angeht), denn der Export des Textilsektors und der Schuhindustrie schrumpften. Die Schuhindustrie z.B. verlor 20.000 Arbeitsplätze, produzierte 38 Millionen Paar Schuhe weniger und verlor 11 % beim Export (Werte per November 2005). Im Vale dos Sinos (Glockental), wo sich die Schuhexporteure konzentrieren, schlossen 60 Exportfirmen ihre Pforten. Präsdident Lula wurde um Hilfe angegegangen - gegen fehlende Finanzierung, starken Real und chinesisches Dumping. So importierte Brasilien per November 2005 insgesamt 15,5 Mio. Paar Schuhe (per November 2004: 8 Mio), davon 68 % aus China.

Auf der anderen Seite sind die Sektoren zufrieden, die importiertes Rohmaterial und Halbzeug verwenden, hier gab es wechselkursbedingt kräftige Rentabilitätssprünge. Und das Auf und Ab an den Weltmärkten begünstigte Brasiliens Exporteure, u.a. wegen der Hühnergrippe wurde Brasilien zum weltgrößten Fleischexporteur und Vale do Rio Doce verdiente am 71,5 % - Preisanstieg des Eisenerzes.

Das Bruttoinlandsprodukt Brasilien hat bereits die Größenordnung von 750 Mrd. US$ erreicht, d.h. der Export betrug letztes Jahr 15,7 % des Bruttoinlandsproduktes. Aber der Anteil am Weltexport liegt nach wie vor auf einem sehr niedrigem Niveau, 2005 werden es ca. 1,13 % sein, 2000 waren es 0,85 %. Nur zum Vergleich, das Bruttoinlandsprodukt Chinas wuchs im abgelaufenen Jahr um 9,8 % und das Land erhielt in den letzten fünf Jahren Direktinvestitionen aus dem Ausland für ca. 270 Mrd. US$.

Die Inflation, die erfolgreich durch den höchsten Leitzins der Welt bekämpft wurde, erreichte nur 4,95 % (2004: 6,3 %, Index IPC-S). Wenn man den IGP-M - Index benutzt, lag die Inflation 2005 sogar bei nur 1,21 %. Danach fiel der Großhandelspreis für Roheisen um 37,94 % (trotz der gestiegenen Erzpreise), für Schweinefleisch um 24,63 %, für Geflügelfleisch um 18,27 %, für Rindfleisch um 10,35 %, für Milch 14,05 %. Im Einzelhandel fielen die Preise ebenfalls, 20,76 % für Papayas, 18,96 % für weißen Reis, 16,45 % für Sojaöl, 8,87 % für Dauermilch und 4,97 % für Zitronen.

Ein anderer Wert bewegt sich ebenfalls seit Monaten nach unten, nämlich das Länderrisiko Brasiliens, welches den historisch niedrigsten Wert von 299 Punkten am 3.1.2006 erreichte. Damit dürfte wieder mehr Auslandskapital nach Brasilien kommen und das Bruttoinlandsprodukte könnte endlich wieder stärker wachsen.

Aber warum „Not too bad!“? Weil das Bruttoinlandsprodukt letztes Jahr um 5 % hätte wachsen können anstelle magerer 2,4 %, bedingt durch die erwähnte Zins- und Wechselkurspolitik. Und das Forschungsinstitut für industrielle Entwicklung IEDI meint sogar, daß bei einer weniger restriktiven Politik das Länderrisiko jetzt bei 200 Punkten liegen würde. Das Centro das Indústrias do Esdtado de São Paulo - CIESP spricht von einem Jahr der verlorenen Gelegenheiten. Die Confederação Nacional da Indústria - CNI wirft der Zentralbank eine frustierende Politik vor und fehlende Sensibilität gegenüber den Wirtschaftsbedingungen, während die Federação das Indústrias do Estado de São Paulo - FIESP von einem mittelmäßigem Wachstum spricht. Selbst die Gewerkschaften machen Front gegen den hohen Leitzins.

Der Import legte übrigens 2005 „nur“ 17,1 % zu, aber für den Maschinen- und Anlagenbereich lag der Zuwachs bei 27,4 %, gut für deutsche Exporteure!

2006 wird ein neuer Staatspräsident gewählt, Grund für die augenblickliche Regierung, jetzt kräftig zu investieren, z.B. in Straßenbau bzw. -erneuerung. Auch das Schienennetz soll vergrößert und verbessert werden, dazu kommen noch etliche neue Elektrizitätswerke. Böse (oder realistische?) Zungen meinen, dies sei auch die Gelegenheit, per Korruption die leeren Parteikassen zu füllen.

Privatunternehmer haben auch große Investitionsvorhaben angekündigt, Klabin will z.B. 1,5 Mrd. R$ für die Vergrößerung der Fabrik im Bundesstaat Paraná ausgeben. Damit soll die Produktionskapazität für Karton und Papier von heute 700.000 auf 1,1 Mio. Jahrestonnen bis 2008 angehoben werden. Klabin hatte Anfang 2005 mit einem Dollarkurs von 3 R$ geplant, durch den Kurs von 2,20 R$ wurden die Importe um ca. 150 Mio. R$ beeinträchtigt.

Zum Schluß noch eine Rekordmeldung: Bei der weltweiten Internetnutzung für den downwload von mp3- und mp4-files schlug Brasilien alle anderen Länder! Auch bei der Verweildauer im Internet lag Brasilien vorne.

Und weil auch die Regierung erkannt hat, daß die Digitaltechnik und Mikroelektronik Zukunft hat, fördert sie über Kredite die einheimische Industrie in diesem Sektor und erwägt sogar Steueranreize zu schaffen. Weltweit produziert die Halbleiterindustrie jährlich für 240 Mrd. US$, wovon auf Brasilien nur 3 Mrd. US$ entfallen. Um dies zu ändern, soll ein Mikroelektronikindustriepark in Minas Gerais geschaffen werden und schon Mitte 2006 soll die erste Halbleiterfabrik mit einer 480 Mio. US$ - Investition gebaut werden, die einen Jahresumsatz von 300 Mio. US$ erreichen soll. Dabei handelt sich um den kompletten Produktionszyklus, eine Neuheit für Brasilien, denn bisher montiert hier nur die US-Firma Smart Technologies in Atibaia Chips und vergießt sie. Aber auch sie hat Investitionen von 50 Mio. US$ vorgesehen und will nach dem Betriebsanlauf, der erst Ende 2005 stattfand, nach Lateinamerika exportieren.

Also warten wir gespannt, was 2006 bringen wird und vergessen wir nicht, daß wir alle selbst dazu beitragen können nach dem Motto „von Nichts kommt Nichts“! (Kann man übrigens auch in der Version „von Nichts kommt nichts“ und „von nichts kommt nichts“ lesen; herzlichen Dank an die deutschen Kultusminister und ihre Bemühungen um unsere Rechtschreibung!)

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