16 Februar 2007

Venezuela, Brasiliens Mercosurpartner, auf dem richtigen Weg?

Am 15.2.2007 hat Hugo Chávez angekündigt, Anfang 2008 drei Nullen des Bolivars zu streichen und die Mehrwertsteuer um 5 Prozentpunkte (3 am 1.3. und 2 am 1.7.) zu senken, um die Inflation, die 17 % im letzten Jahr erreichte, zu bekämpfen. Dieses Jahr soll die Inflation maximal 12 % betragen, aber im Januar betrug sie schon 2 %. Um die Einnahmeausfälle, die durch die Mehrwertsteuerreduzierung verursacht werden und 3,7 Mrd. US$ erreichen können, zu kompensieren, sind neue Steuern geplant, u.a. eine Vermögenssteuer. Die Realisierung wird Cháves leicht fallen, der Präsident kann seit dem 1.2.2007 für andertalb Jahre in 11 Sektoren per Dekret regieren und die Opposition ist parlamentarisch nicht repräsentiert. Der nächste Streich ist auch schon angekündigt, nämlich die Möglichkeit, Firmen der Lebensmittelwertschöpfungskette zu verstaatlichen, wenn es das soziale Interesse erfordert. Und was soziales Interesse ist, bestimmt der Präsident.

Das erinnert etwas an diesen Witz: Das Urteil richtet sich nach dem gesunden Volksempfinden. Was gesundes Volksempfinden ist, bestimmt der Vorsitzende Richter.

Lebensmittel unterliegen übrigens in Venezuela seit 2003 einer staatlichen Preiskontrolle. Auch Argentinien kontrolliert Preise, beide Länder haben wohl von der erfolgreichen Inflationsbekämpfung Brasiliens nichts gelernt.

Zu solchen Nachrichten paßt dann auch der Ausspruch von Lula von gestern, als er, an den bolivianischen Präsidenten Evo Morales gerichtet, sagte: Bevor wir (beide) Staatspräsidenten sind, sind wir zunächst Gewerkschaftsgenossen. Und erklärte sich damit einverstanden, Bolivien, welches die Erdöl- und Erdgasfirmen verstaatlichte, 100 Mio. US$ mehr pro Jahr für seine Erdgaslieferungen zu zahlen. Angeblich, ohne diese Mehrkosten an den Verbraucher weiterzugeben. Weitere Kommentare zur Marktwirtschaft sind hier wohl überflüssig.

1 Kommentar:

  1. Venezuela
    Die Mittelschicht flieht vor dem Albtraum
    In Scharen verlassen die Menschen das Land, seit Präsident Chávez Anfang Dezember wieder gewählt wurde. Mehr als eine Million Menschen haben Venezuela bereits wegen des autoritären Regimes verlassen. Dabei war der Staat einst ein Einwanderungsland.
    Foto: DPAUmstritten: Venezuelas Staatspräsident Hugo Chavez legt sich mit dem großen Nachbarn im Norden, den USA, und mit George W. Bush an

    "Die Wohnung ist wunderschön, mit Blick auf die Bucht von Key Biscaine." Wendy Sosa rückt die Designer-Sonnenbrille zurecht, nippt an ihrem Eistee und versucht, sich selbst Mut zu machen. Ihre Freundin blickt skeptisch. Das Café im wohlhabenden Ostteil der Hauptstadt Caracas ist an diesem sonnigen Januartag gut besucht. Üppig grün leuchtet die Vegetation des nahe gelegenen Avila-Bergs. Sieht man vom Verkehrschaos ab und von den vier Polizisten, die wegen der grassierenden Kriminalität am Eingang Wache schieben, könnte man die Stadt fast für idyllisch halten. Doch Sosa hat dafür keinen Blick mehr. Den Entschluss, ihr Heimatland Venezuela zu verlassen, hat die 35jährige am 4. Dezember gefasst - dem Tag, nachdem Hugo Chavez erneut für sechs Jahre zum Präsidenten gewählt worden war. Seither ist sie mit den Umzugsvorbereitungen beschäftigt, kümmert sich um Visa und Führungszeugnisse. Weiterführende links
    Chávez provoziert Bush mit einer Prise Schwefel Die Linke ist nicht mehr das, was sie mal war Sosa gehört der venezolanischen Mittelschicht an, die das Land in Scharen verlässt, seit der narzisstische Ex-Putschist mit seinen sozialistischen Ideen das Erdölland umkrempelt und die Armen zu Protagonisten seiner Politik gemacht hat. Dieses Wochenende war sie mit ihrem Mann - einem Importeur von Auto-Ersatzteilen - und den beiden Kindern im Alter von sechs und elf Jahren in Miami im US-Bundesstaat Florida auf Wohnungs- und Schulsuche. "Die Kinder haben den Aufnahmetest an der katholischen Privatschule bestanden, und das Apartment ist wirklich traumhaft", schwärmt sie nun ihrer Freundin vor, die sich bisher noch nicht zum Auswandern entschlossen hat. Schlagworte
    Hugo Chavez Venezuela Mittelschicht Marxismus Südamerika Auswanderung
    Gravierende Kriminalität und Unsicherheit
    Es sind nicht die Geschäfte, die Sosa und viele ihrer Landsleute zum Auswandern bewegen. "Letztes Jahr wurden 300.000 neue Wagen zugelassen; mein Mann verkauft so viel, wie seit zehn Jahren nicht mehr", räumt die aparte, dunkelhaarige Frau ein. "Aber es ist die grassierende Kriminalität und diese Unsicherheit, denn keiner weiß, was Chavez nach Steueroffensive und Wechselkurskontrollen noch einfällt, um uns zu schikanieren." Erst vor einigen Tagen hat die Regierung Auto-Ersatzteile als Luxusgüter abgestempelt, für die keine Devisen mehr zugeteilt werden. Besonders aber fürchtet Sosa die sozialistische Bildungsoffensive des burschikosen Staatschefs und seines Bruders Adan, amtierender Erziehungsminister und überzeugter Marxist. Seit diesem Schuljahr stehen zwei Wochenstunden "bolivarische Vaterlandserziehung" auf den Stundenplänen der höheren Klassen, eine Art ideologisch-historische Gemeinschaftskunde. Viel mehr ist bisher nicht geschehen, aber die venezolanische Mittelschicht fürchtet ein zweites Kuba, einen totalitären Staat mit Reisesperre und staatlicher Einheitserziehung. Wegen Chavez antiklerikaler Offensive hat die katholische Schule, auf die Sosa ihre Kinder schickt, den Religionsunterricht bereits vorsorglich vom Stundenplan gestrichen. Vor allem wegen ihrer Kinder hat Sosa den Entschluss zum Auswandern gefasst. "Es geht um ihre Zukunft", sagt sie. Gerade junge Fachkräfte sehen schwarz. "Für mich war das Stipendium einer spanischen Universität eine Erleichterung", sagt der Soziologiestudent Daniel Gonzalez. "Hier gibt es keine Jobs, und die Regierung ertrag ich nicht. Alles ist blockiert", kritisiert der 24jährige. Einer seiner Brüder lebt in Miami, die beiden anderen Geschwister würden gerne nach Australien oder Kanada gehen. Die Auswanderwilligen gehören in der Regel zu den 38 Prozent, die bei der Präsidentschaftswahl im Dezember gegen Chavez gestimmt haben.
    Die Mittelschlicht flieht in die USA
    Die USA, die nur zwei Flugstunden von Caracas entfernt sind, sind das bevorzugte Ziel. Es folgen Spanien und Italien, da viele Venezolaner Vorfahren aus diesen Ländern haben und deshalb einen EU-Pass besitzen. Auch deutsche Pässe sind beliebt, wie ein Sprecher der Botschaft bestätigt. Tausende von Passanträgen und Verfahren zur Feststellung der Staatsangehörigkeit habe die Botschaft in den letzten Jahren bearbeitet. Kanada und Australien machen sich die Situation ebenfalls zu Nutze und werben in den bürgerlichen Zeitungen um hoch qualifizierte, gut situierte Einwanderer. Und sogar Länder wie Kuwait interessieren sich für die 18 000 Erdöl-Fachkräfte, die Chavez wegen ihrer oppositionellen Haltung aus dem Staatskonzern PDVSA entlassen hat. So hat sich der Trend des einstigen Einwanderungslandes ins Gegenteil verkehrt: Aus dem boomenden, für Einwanderer attraktiven "Saudi-Venezuela" der 70er Jahre ist ein abschreckendes "Venezuelistan" geworden. Bei einer Informationsveranstaltung über die Auswanderung nach Australien kamen Anfang Januar tausend Interessenten - weitere 500 mussten wegen Platzmangels draußen vor der Türe bleiben. Die Internetseite wwww.mequieroir.com ("ich will gehen") ist ein Renner. Dort gibt es Auswanderungstipps aller Art - Rechtsberatung, Informationen über die bevorzugten Länder, Kontakt zu Migranten bis hin zu einem psychologischen Test, ob man schon zum Auswandern bereit ist. 60.000 registrierte Interessenten zählt das Portal. Einer Studie der Zentraluniversität von Caracas zufolge haben in den vergangenen Jahren eineinhalb Millionen Venezolaner das Land verlassen. Besonders geschrumpft ist die wirtschaftlich einflussreiche jüdische Gemeinde. Von einst 20.000 Juden ist nach Schätzung offizieller jüdischer Stellen gerade noch die Hälfte übrig. "In meinem Umfeld hält sich eigentlich jeder ein Türchen offen", schildert Mireya Katz, deren Eltern einst aus Rumänien vor den Nazis flüchteten. Mireyas Mutter Ana reiste vor einigen Wochen trotz der traumatischen Erinnerungen in die alte Heimat, um sich die Papiere für einen rumänischen Pass zu besorgen, der seit kurzem auch die Türen zur EU öffnet. Die jüdische Gemeinde fühlt sich von Chavez' antisemitischer Rhetorik und seinem Flirt mit dem Iran besonders bedroht. "Viele wollen weg, aber es ist nicht einfach, wenn man sich hier etwas aufgebaut hat", räumt Katz ein, die sich dennoch Gedanken darüber macht, wohin sie mit ihrer Familie gehen könnte. Noch harrt sie aus in der Hoffnung, dass der Albtraum Chavez bald zu Ende geht.

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