22 November 2015

Schadet die Haushaltsanierung Brasilien?

Marcos Mendes, ein bekannter brasilianischer Wirtschaftsexperte, hat eine sehr klare Meinung von dem, was Brasilien benötigt, um eine erfolgreiche Nation zu werden. Er greift u.a. die sehr ungleiche Einkommensverteilung an, die seiner Meinung nach neben den Strukturfehlern zum geringen Wirtschaftswachstum, zur Zeit sogar eine Schrumpfung, beiträgt. Denn die aktuelle Einkommensverteilung führt zu einer sehr heterogenen Gesellschaft mit Gruppen, die sehr unterschiedliche Forderungen an den Staat stellen - die Armen wollen Sozialleistungen, die Reichen geförderte Kredite und die Mittelschicht kostenlose Universitätsausbildung. Und wer am lautesten seine Forderungen vorbringt, bekommt normalerweise Zugeständnisse, weil die Politiker keine Wählerstimmen verlieren möchten. Die Mittelschicht ist weit entfernt davon, ihr Ideal zu erreichen - ein Umfeld, in dem man leicht Geschäfte machen, seine eigenes Geschäft ohne Bürokratie und mit geringer Steuerlast entwickeln kann und in dem die Dienstleistungen der Öffentlichen Hand effizient erbracht werden.

Marcos Mendes sieht Brasilien vor die Wahl gestellt, entweder dem chilenischem Modell zu folgen, also tiefgreifende Reformen durchzuziehen (wie es Pinochet gemacht hat) oder dem argentinischem Modell zu folgen und die Probleme mit dem Bauch vor sich her zu schieben. Dabei ist es klar, welche Reformen Brasilien anpacken muss, nämlich die der Sozialversicherung und des Arbeitsrechtes. Dazu muss das Übermaß an Reglementierung abgebaut und die Wirtschaft ohne Angst vor Konkurrenz von außen weit geöffnet werden. Aber im Brasilien von heute verteidigt jedes Grüppchen seine "Errungenschaften" und verhindert damit die Reformen und vergrößert die Staatsausgaben. Die Hauptbremser sind nach Meinung von Marcos Mendes heute die Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes und die Gewerkschaften, aber auch die Industrieverbände wie der Dachverband der Industrie des Bundesstaates São Paulo, Fiesp, der Verband der Automobilhersteller Anfavea und Febraban, die Interessenvertretung der Banken. Dazu kommen die, die die Staatsmacht ausüben und Privilegien genießen, nämlich Richter, Staatsanwälte, die Bürgermeister und die Finanziers politischer Kampagnen, außerdem die sogenannten Sozialbewegungen wie Landlose, Wohnungslose, Frauenrechtler, Verteidiger der Ureinwohner und Umweltschützer.

Aktuell durchlebt das Land eine beispiellose Krise und die Einfluggruppen verlieren an Kraft angesichts einer Inflationsrate von 10 % und einer Arbeitslosenquote in ähnlicher Höhe. Das gibt Hoffnung auf Reformen, denn Brasilien hat in Krisenzeiten der Vergangenheit solche bereits realisiert: Nach dem Militärstreich wurde das Steuer- und Bandensystem reformiert und die Zentralbank geschaffen und gegen die Hyperinflation konnte der Plano Real durchgedrückt werden. Heute sträuben sich unsere Parlamentarier noch gegen Reformen, weil sie dem kleinsten Druck von der Straße nachgeben, siehe das Beispiel der Taxifahrer, die gegen UBER protestierten und mit einem Verbot belohnt wurden. Wer sich also organisiert und konzentriert auftritt, kann also seine Interessen gegen die der Allgemeinheit durchsetzen. Dabei gibt es durchaus fortschrittliche Gesetzesvorlagen, an denen aber die Regierung keinerlei Interesse zeigt. So wollen einige Parlamentarier öffentliche Investitionen sachgerecht planen, aber sie kämpfen vergebens gegen den Plano Plurianual, einer Art Fünfjahresplan sowjetischer Prägung, der 30 Jahre nach dem Fall der Mauer von Berlin zentralistisch erstellt und nie realisiert wird, aber einen enormen Aufwand zu seiner Schaffung erfordert.

Die augenblicklichen Bemühungen, den Haushalt zu sanieren, stoßen auf den harten Widerstand von Gruppen, die trotz besseren Wissens behaupten, diese Bemühungen würden den Kampf gegen die Ungleichheit erschweren. Dabei werden nicht die Armen durch die Sanierungsbemühungen benachteiligt, sondern die Gruppen, die Druck dagegen ausüben, abgestraft. Siehe die Justizangestellten, die Gehaltserhöhungen fordern, obwohl das brasilianische Justizsystem eines der teuersten der Welt ist. Die Protestierer gehören zu den bestbezahlten Brasilianern und haben wahrlich keinen Grund zur Klage. Eine Reform des Justizsystems würden keinen einzigen Armen treffen, aber dem Land sehr nützen.

Ähnlich sieht es bei der Sozialversicherung aus, die den Armen wenig und den gut und sehr gut Verdienenden, vor allem im Öffentlichen Dienst, sehr viel gibt. Aber Privilegien abzubauen, ist schwer; wir sehen es im Augenblick an der Lufthansa in Deutschland.

Marcos Mendes fordert zu recht mehr Transparenz der Konten der Öffentlichen Hand, eine Privatisierung weiterer Staatsbetriebe und eine Verbesserung der Führung und Verwaltung der Betriebe, die weiterhin staatlich bleiben sowie eine Öffnung der Wirtschaft. Je offener die Wirtschaft, desto mehr Technologie kommt nach Brasilien. Und Konkurrenz belebt das Geschäft - wo Konkurrenz, auch und gerade aus dem Ausland, herrscht, können Gruppeninteressen schlechter dominieren.

Und Marktwirtschaft (Soziale Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard!) kann Wunder bewirken. In Brasilien leben 28 % der Bevölkerung von weniger als 5 US$ pro Tag, in Argentinien sind es 17 % und in Chile 16 %. Und Chile hat die in Brasilien geforderten Reformen weitgehend durchgesetzt.

Ein Brasilianer hat im Mittel etwa sehr als 7 Jahre Ausbildung hinter sich gebracht, ein Argentinier 9 und ein Chilene 10.

Bezogen auf den Human Development Index liegt Brasilien auf dem 79. Platz, Argentinien auf dem 49. und Chile auf dem 41.

Brasilianische Unternehmer wollen oft keine Öffnung, weil sie die nationale Industrie zerstören würde. In Chile, der am weitesten geöffneten Volkswirtschaft Südamerikas, beträgt der Industrieanteil am BIP 35 %, im protektionistischen Argentinien sind es 29 % und im abgeschotteten Brasilien laut Marcos Mendes 24 % (in Wirklichkeit ist der Anteil noch kleiner). Was klar zeigt, dass Protektionismus nicht funktioniert.

Was hat Chile gemacht? Die Tabellierung der Preise aufgehoben und diese freigegeben, privatisiert, die Hyperinflation bekämpft und die Wirtschaft geöffnet. Zunächst führte das zu Armut und erst nach Jahrzehnten zur Prosperität.

Brasiliens Weg wäre einfacher, denn wir haben u.a. die Hyperinflation schon besiegt, auch wenn immer noch Reste der Indexierung vorhanden sind und die Inflationsrate zur Zeit steigt. Wir haben schon - noch nicht ausreichend, aber immerhin - privatisiert. Jetzt fehlt "nur" noch, die Korruption zu beseitigen und mit der Umverteilungsmentalität aufzuhören, nicht mehr Sozialismus zu spielen und die Steuern zu senken, damit das damit gesparte Geld vom Verbraucher ausgegeben werden kann und so der Industrie, dem Handel und dem Dienstleistungssektor zu gute kommt.

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