Mein Freund Harald Sterzinger hat die Erklärung gefunden:
Mandy besitzt eine Bar in Kreuzberg. Um den Umsatz zu steigern, beschließt sie, die Getränke der Stammkundschaft (hauptsächlich alkoholkranke Hartz-IV-Empfänger) auf den Deckel zu nehmen, ihnen also Kredit zu gewähren.
Das spricht sich in Kreuzberg schnell herum und immer mehr Kundschaft desselben Segments drängt sich in Mandy's Bar. Da die Kunden sich um die Bezahlung keine Sorgen machen müssen, erhöht Mandy sukzessive die Preise für den Alkohol und erhöht damit auch massiv ihren Umsatz.
Der junge und dynamische Kundenberater der lokalen Bank bemerkt Mandy's Erfolg und bietet ihr zur Liquiditätssicherung eine unbegrenzte Kreditlinie an. Um die Deckung macht er sich keinerlei Sorgen, er hat ja die Schulden der Trinker als Deckung.
Zur Refinanzierung transformieren top ausgebildete Investmentbanker die Bierdeckel in verbriefte Schuldverschreibungen mit den Bezeichnungen SUFFBOND®, ALKBOND® und KOTZBOND®. Diese Papiere laufen unter der modernen Bezeichnung SPA Super Prima Anleihen und werden bei einer usbekischen Online-Versicherung per Email abgesichert. Daraufhin werden sie von mehreren Rating-Agenturen (gegen lebenslanges Freibier in Mandy's Bar) mit ausgezeichneten Bewertungen versehen. Niemand versteht zwar, was die Abkürzungen dieser Produkte bedeuten oder was genau diese Papiere beinhalten, aber dank steigender Kurse und hoher Renditen werden diese Konstrukte ein Renner für institutionelle Investoren.
Vorstände und Investmentspezialisten der Bank erhalten Boni im dreistelligen Millionenbereich.
Eines Tages, obwohl die Kurse immer noch steigen, stellt ein Risk Manager (der inzwischen wegen seiner negativen Grundeinstellung selbstverständlich entlassen wurde) fest, dass es an der Zeit sei, die ältesten Deckel von Mandy's Kunden langsam fällig zu stellen. Überraschenderweise können weder die ersten noch die nächsten Hartz-IV-Empfänger ihre Schulden, von denen viele inzwischen ein Vielfaches ihres Jahreseinkommens betragen, bezahlen.
Solange man auch nachforscht, es kommen so gut wie keine Tilgungen ins Haus. Mandy macht Konkurs. SUFFBOND® und ALKBOND® verlieren 95%, KOTZBOND® hält sich besser und stabilisiert sich bei einem Kurswert von 20%.
Die Lieferanten hatten Mandy extrem lange Zahlungsfristen gewährt und zudem selbst in die Super Prima Anleihen investiert. Der Wein- und der Schnapslieferant gehen Konkurs, der Bierlieferant wird dank massiver staatlicher Zuschüsse von einer ausländischen Investorengruppe übernommen.
Die Bank wird durch Steuergelder gerettet. Der Bankvorstand verzichtet für das abgelaufene Geschäftsjahr auf den Bonus.
In diesem Sinne...
Disclaimer: Dies ist ein völlig aus der Luft gegriffenes Beispiel zu Schulungszwecken. Ähnlichkeiten mit eventuell wahren Gegebenheiten oder Personen sind zufällig und keineswegs beabsichtigt."
Jetzt wissen wir, was wahrscheinlich geschehen ist. Und wie reagierte die brasilianische Regierung? Heute hat sie erstmal Autos mit 1,0 l Hubraum von der Industrialisierungssteuer IPI befreit und die für Mittelklassefahrzeuge gesenkt. Dazu kommt die Einführung zweier weiterer Einkommensteuerstufen (7,5 und 22,5 % neben den bestehenden von 15 und 27,5 %) für natürliche Personen und die Reduktion der Steuer auf Finanzoperationen, IOF = Imposto sobre Operações Financeiras genannt. Dieses lobenswerte, aber wahrscheinlich unzureichende Paket wird der Regierung 8,4 Mrd. R$ weniger Einnahmen bescheren.
Die Einkommen natürlicher Personen werden damit ab 1.1.2009 so besteuert:
- bis R$ 1.434 = 0 %
- über R$ 1.434 bis R$ 2.150 = 7,5 %
- über R$ 2.150 bis R$ 2.866 = 15 %
- über R$ 2.866 bis R$ 3.582 = 22,5 %
- über R$ 3.582 = 27,5 %
Die Industrialisierungssteuer für benzinbetriebene 1,0 l - Wagen wird von 7 auf 0 % gesenkt, für Autos über 1 bis 2 l Hubraum von 13 auf 6,5 %. Nur für größere Fahrzeuge müssen weiterhin 25 % IPI gezahlt werden. Alkohol- und Flexfahrzeuge haben ebenfalls neue Regelungen. Hier betragen die Mindereinnahmen ca. 1 Mrd. R$, wobei die Regierung darauf hofft, dass die Autobauer bzw. -händler die Steuerentlastung an den Autokäufer weitergeben werden. Und dass es zu keinen Entlassungen im Automobilsektor kommt.
Der letzte Bestandteil des Paketes, die Reduzierung der IOF - Steuer für natürliche Personen auf 1,5 %/a, soll diesen die Kreditaufnahme leichter machen. Was sich die Regierung 2,5 Mrd. R$ kosten lässt. Aber der Leitzins SELIC wurde gestern unverändert gelassen und beträgt immer noch 13,75 %/a.
Weitere 10 Mrd. US$, die aus den Währungsreserven genommen werden, sollen Firmen mit Fremdwährungsverbindlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihren Verpflichtungen im Ausland nachkommen können.
Und das alles wegen der Bierdeckel!? Danke, Harald!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen