20 April 2009

DIE KRISE: Ist das Schlimmste schon vorbei?

In Brasilien vielleicht, im Rest der Welt sicher noch nicht. Aber auch Brasilien wird noch einige Zeit an den Auswirkungen zu knappern haben. Und durchaus aus auch aus internen Gründen, denn Präsident Lula weiß, dass 2010 sein letztes Amtsjahr sein wird und da möchte er natürlich einen guten Abgang haben. Und einen guten Einstieg in die von ihm angestrebte „diplomatische Tätigkeit“ nach Beendigung seiner Amtszeit. Beides kann er sich verschaffen, in dem er viel Geld ausgibt, um Staatsbedienstete einzustellen und durch Investitionen und Steueranreize auch in der Privatwirtschaft Arbeitsplätze zu schaffen. Dass das Geld nicht vorhanden ist, sondern Kredite aufgenommen werden, bekümmert ihn nicht sonderlich, denn diese müssen von seinen Nachfolgern – eine Amtsperiode reicht dazu sicher nicht – bezahlt werden. Und selbst, wenn das nächste Parlament seinen Mitgliedern nicht mehr üppige Reisen nach New York oder Paris – die bevorzugten Ziele - auf Staatskosten für Familienmitglieder und Freunde erlaubt und die monatlichen Mobiltelefonrechnungen einiger Senatoren nicht mehr den Wert eines Autos übersteigen, wird dies schwer werden. Denn noch sind die Zinsen weit oben und unsere Binnenverschuldung ist astronomisch hoch. Die Regierung brüstet sich wohlweislich nur mit dem Abbau der Außenverschuldung, denn die Schulden in Landeswährung hat sie bisher nur gesteigert. Übrigens ein Grund für das Wohlergehen der hiesigen Banken und den schlechten Kundendienst für Privatleute und kleinere Firmen, denn der Löwenanteil der Bankkredite wird hierzulande von der Regierung in Anspruch genommen. Das hat unsere Banken auch vor DER KRISE bewahrt, sie hatten überhaupt keine Veranlassung, riskante Geschäfte zu machen, bei der Regierungsunterstützung!

Mir wird von (wenigen) Lesern vorgeworfen, das Gute an der Regierung Lula nicht zu sehen und zu kritisch zu sein. Lula tue doch eine Menge für die Armen. Das stimmt, er hat Sozialprogramme seines Vorgängers zusammengefasst und ausgeweitet, mit der deutlichen Absicht, damit Wählerstimmen zu gewinnen. Und er hat Maßnahmen seiner Vorgänger, den Staatsapparat zu verkleinern, rückgängig gemacht und neue Staatsdiener eingestellt, mit der deutlichen Absicht, seiner Partei eine permanente Unterstützung durch die öffentliche Verwaltung zu sichern. Außerdem hat er das PAC-Programm geschaffen, um über Investitionen die Konjunktur anzukurbeln, aber nur 28 % von dem investiert, was bis heute möglich und vorgesehen gewesen war. Was beweist, dass Politiker und Beamte, insbesondere mit linker Tendenz, lausige Unternehmer sind. Siehe auch die mit großem Tam Tam oder Oba Oba wie man in Brasilien sagt, propagierten PPPs , die bis heute nicht funktionieren.

Aber er hat die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers schamlos und erfolgreich kopiert. Ich schreibe schamlos, weil er diese Politik vorher vehement bekämpft hat wie auch die Steuerreform, die Arbeitsrechtsreform, die Wahlrechtsreform und die Sozialversicherungsreform, auf die wir in Brasilien bis heute vergeblich warten. Auch das Gesundheitswesen und das Schulwesen sind marode. Es reicht eben nicht, nur dagegen zu sein, wenn man in der Opposition ist, man muss auch ein Programm haben und die Fähigkeit es durchzuführen, wenn man „an der Macht“ ist. Um an dieser bleiben, werden in Brasilien mindestens 17 der 35 (!!!) Bundesminister im April 2010 aus dem Amt scheiden, um sich zu kandidieren. Stellen Sie sich mal vor, Steinmeier müsste ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen sein Amt als Außenminister aufgeben, weil er Kanzler werden möchte.

Aber zurück zur Krise: Seit Dezember 2008 sind die Steuereinnahmen deutlich gesunken, in den en ersten drei Monaten 2009 summiert sich der Verlust im Vergleich zum ersten Vierteljahr 2008 auf 11,33 Mrd. R$.

Weniger Steuern deutet auf weniger Geschäft hin und weniger Geschäft heißt weniger Transport, der in Brasilien größtenteils Straßentransport ist, sei es Passagier- oder Gütertransport. Um hier Erleichterung zu verschaffen, studiert die Regierung Maßnahmen zur Senkung des Dieselpreises, der mit 2,20 R$/l für uns wirklich hoch ist ; wobei man noch nicht entschieden hat, ob dies durch Steuersenkung oder durch Verringerung der Petrobrásmarge geschehen soll. Zuletzt wurde der Dieselpreis am 2.5.2008 geändert, als er um 15 % angehoben wurde. Seitdem ist der Erdölpreis (1 Barrel Brent: 110 US$ im Mai 2008, 52 US$ aktuell) in den Keller gefallen, nur in Brasilien hat dies leider keine Auswirkungen für den Verbraucher gehabt. Unser Diesel kostet nach wie vor 50 % mehr als in den USA.

Allein 21 der größten Schlachthöfe und Kühlhäuser Brasiliens, von denen 7 insolvent sind, entließen laut ABIEC – Associação Brasiliera dos Exportadores de Carne als Folge der Krise 52.000 Mitarbeiter. Wenn man die Firmen, die der ABRAFRIGO – Associação Brasiliera de Frigoríficos angeschlossen sind, dazu nimmt, vergrößert sich die Zahl um 12.000. Zusammen mit den Firmen, die als Lieferant von Produkten oder Dienstleistungen dem Sektor verbunden sind, kann man wohl von 100.000 verlorenen Arbeitsplätzen ausgehen. Unmittelbarer Grund ist der Rückgang der Rindfleischexporte um 20 % im Vergleich des ersten Vierteljahres 2008/2009. Aber der Export hat schon wieder steigende Tendenz. Um eine Größenordnung zu zeigen: 2008 haben die 750 Schlacht- und Kühlhäuser, die von der Bundesregierung geprüft werden, 38.500.000 Rinder verarbeitet.

Um diese Industrie sowie den Landmaschinensektor, Genossenschaften und Milchverarbeiter u.ä. vor dem Schließen zu bewahren, hat die Regierung eine Kreditlinie von 10 Mrd. R$ zu 11,25 % Jahreszinsen über die BNDES zur Verfügung gestellt.

Die gebeutelte Embraer, die internationale Aufmerksamkeit durch Massenentlassungen und den dadurch hervorgerufenen Streit mit der Gewerkschaft auf sich zog, erhält ebenfalls Regierungshilfe in Form von Aufträgen, insgesamt für 1,4 Mrd. US$ für die Entwicklung und Modernisierung von Flugzeugen der Luftwaffe und Marine.

Hilfe aus dem Ausland erhält unser Bergbaugigant Vale. Die Dubai Aluminium Company Dubal erwarb 19 % des Kapitals der Vale – Tochter Cia. de Alumina do Pará CAP. Der dritte im Bunde ist die norwegische Hydro Aluminium, die ihre 20 % unverändert behält. Die CAP wurde gegründet, um in Barcarena – Pará, 5 km von der Alunorte entfernt, eine Aluminiumraffenerie zu bauen, die 2,2 Mrd. US$ kosten wird, anfänglich 1,86 Mio. to Aluminium im Jahr herstellen kann und nach bisheriger Planung Ende 2012 in Betrieb gehen soll.

Ein Sektor, der auch erhöhte Aufmerksamkeit verdient, ist der von Zucker und Alkohol, der bei Banken mit 40 Mrd. R$ verschuldet ist. Deshalb verhandelt z.B. Infinity Bio-Energy mit einem Kapitalgeber, bei dem es sich um die belgische Trading Alcotra handeln soll. Alcotra hat 400 Mio. US$ für Investitionen in Brasilien übrig. Infinities Sechsmonatsbilanz vom 30.9.08 weist einen Verlust von 111 Mio. US$ aus, was die Beteiligungsverhandlungen offensichtlich nicht erleichtert. Die Firma hat vier Projekte für den Bau von neuen Zucker- und Alkoholraffinerien und die Ausweitung bestehender Kapazitäten von 2009 auf unbestimmte Zeit verschoben.

Der Zellulosemarkt spürt eine leichte Erholung. Die Verkäufe nach China steigen wieder und der Preisverfall legte eine Verschnaufpause ein. Immerhin war der Preis seit September 2008 sieben Monate hintereinander um insgesamt über 50 % gefallen! Der Markt für wieder aufbereitetes Papier dagegen schwächelt, es ist zu teuer, ökologisch korrekt zu sein. Seit Januar ist die Nachfrage nach Schreibpapier insgesamt um 25 % gefallen und große Verbraucher achten darauf, zertifiziertes Papier zu kaufen, welches aus gepflanztem Holz hergestellt wurde und wo die Verpackung darüber informiert, wie viel C02 bei der Herstellung freigesetzt wurde.

Die Krise hat sich auch auf Mergers & Acquisitions ausgewirkt, Brasilien ist heute auf dem Stand von 2006 mit 114 Geschäften im ersten Vierteljahr 2009, 27 % weniger als im Vorjahresvergleichsraum. Aber es kündigt sich eine Verbesserung an, denn im Januar wurde 36 Geschäfte abgeschlossen, im Februar 28 und im März schon 50.

Nach fünf Monaten schlechter Nachrichten stieg die Beschäftigtenquote in der Industrie von São Paulo im März endlich wieder, wenn auch nur um 0,31 % gegenüber dem Vormonat. Auch die Stahlproduktion stieg im März wieder, immerhin um 4,7 %. Aber gegenüber dem März 2008 betrug der Rückgang immer noch 41,5 %.

Eine sehr gute Nachricht kommt von der Börse, Brasiliens Aktien gehören wieder zu den besten der Welt, wenn man ihre Rentabilität betrachtet:

Wertsteigerung an der Börse 2009 per 15.4.:
27,41 % Brasilien
25,70 % Russland
21,23 % Chile
17,68 % Indien
05,02 % Australien
01,01 % Südafrika

Wertverfall an der Börse 2009 per 15.4.:
- 05,16 % USA
- 06,17 % GLOBAL
- 09,32 % EUROPA
- 10,84 % Japan

Und der Real konnte sich soweit gegenüber dem US-Dollar festigen, dass die Regierung schon wieder um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportindustrie fürchtet.

Zum Schluss noch einige interessante Zahlen: In unserer Hauptstadt Brasília kommen 1,1 Mio. Autos auf 2,5 Mio. Personen, das sind schon europäische Verhältnisse. Jeder Hauptstadteinwohner hat im Schnitt 1,25 Mobiltelefone! 29,7 % der Haushalte der Hauptstadt haben Internetzugang, 36,4 % haben mindestens einen Computer und 94,1 % einen Telefonfestanschluss. 99,8 % der Haushalte Brasílias haben elektrischen Strom und 96 % Trinkwasser aus dem Wasserhahn. Brasílias HDI (Human Development Index) ist mit 0,936 der beste Brasiliens, gefolgt von Rio Grande do Sul mit 0,904 und São Paulo mit 0,901. Der Mittelwert für Brasilien ist 0,792. Brasília würde als Staat damit mit Neuseeland gleichauf liegen und vor Deutschland und Portugal. Man sieht den positiven Einfluss, den der Eigennutz unserer Regierung und unseres Parlamentes ausübt sowie die Anwesenheit von 175 Botschaften, 58 Konsulaten, zweier Handelsmissionen und 26 internationaler Organisationen.

Da kann es sich – so glaubt sie jedenfalls, die halbstaatliche Petrobrás auch leisten, ein Verwaltungsgebäude in Vitória mit 100.000 m2 für 486 Mio. R$ zu bauen, in dem 1.500 Mitarbeiter untergebracht werden sollen. Und das bei einer Zunahme der Zahlungsunfähigkeit oder –unwilligkeit von 20,6 % allein im Februar diesen Jahres im Vergleich zum Februar 2008.

Die Bauindustrie stellt übrigens wieder ein. Im März wurden 16.100 mehr Mitarbeiter eingestellt als entlassen. Im Vormonat war die Zahl auch positiv, aber der Saldo betrug nur 2.800 Mitarbeiter. Per Ende März betrug der Saldo 30.300 Leute, im Vorjahresvergleichsraum waren es noch 99.600. Das Regierunsprogramm "Minha casa, minha vida" (Mein Haus, mein Leben) wird hoffentlich eine weitere Erholung bringen, in seinem Rahmen sollen eine Million Häuser bzw. Wohnungen gebaut werden. Weitere Sektoren, die vermehrt einstellen, sind die Schuhindustrie, die Gummiverarbeitung, der Tabakbereich, Lederverarbeitung und die Textil- und Bekleidungsbranche. Metallverarbeiter und Papierindustrie entlassen weiterhin mehr als sie einstellen.

Dass Brasilien wieder vermehrt Maschinen und Anlagen aus Deutschland einkauft, können Sie hier lesen (Meldung von der Hannovermesse).

1 Kommentar:

  1. Ach so natuerlich, HIER in VENEZUELA tut der Praesident auch sehr viel fuer die ARMEN - und wo das hin gefuehrt hat muesste an sich JEDEM klar sein - und vergessen Sie bitte alle nicht wieviel in CUBA fuer die Armen getan wird - 47 Jahre lang schon mit wachsenden Erfolg... ODER ?

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