24 Februar 2006

Lulas Dilemma

Die fünf größten brasilianischen Banken - Bradesco, Itaú, Unibanco, Banco do Brasil und Caixa - haben 2005 den höchsten Gewinn der Geschichte des brasilianischen Bankenwesens erzielt, zusammen 18,4 Mrd. R$.

So weit, so gut, aber unter einem sozialistischem Präsidenten, dem Ehrenpräsidenten der von ihm gegründetem Arbeiterpartei und ehemaligem Gewerkschaftsführer? Spezialisten sprechen von fehlendem Wettbewerb und einem Kartell, aber das kann nicht sein, denn das wäre ja gegen das Gesetz. Aber freuen wir uns mit den Banken, darunter die größte brasilianische Privatbank Bradesco, die voriges Jahr 5,514 Mrd. R$ Nettogewinn erwirtschaftete, 80,2 % mehr als 2004. Dieser Gewinn ist der höchste jemals von einer Bank mit offenem Kapital in Lateinamerika erreichte, gefolgt von 5,251 Mrd. R$, dem Gewinn der Itaú. Bei einem mittlerem Zinssatz von 44,7 % im Jahr, den die Banken ihren Kreditkunden abverlangen, wäre es aber eigentlich ein Wunder, wenn die Gewinne kleiner wären.

Aber diese Gewinnhöhe und nur 2,3 % Wirtschaftswachstum 2005 (2003 => 0 %, 2004=> 4 %) machen den Staatspräsidenten offensichtlich nervös, denn 2006 ist Päsidentenwahljahr! Also sprach der Präsident heute morgen zu einem Vertrauten (der dies gleich gegenüber der Presse durchsickern ließ): Das Wirtschaftsministerium kommt an die kurze Leine, der primäre Haushaltsüberschuß (2005: 93,505 Mrd. R$ bzw. 4,84 % des BIP, 10,755 Mrd. R$ über dem von der Regierung verkündetem Ziel!) darf die Grenze von 4,25 % des BIP 2006 nicht überschreiten und das Wachstum des BIP muß mindestens 5 % erreichen. Und die Zinsen müssen sinken.

Und wo ist das Dilemma? Zum Erkennen reichen zwei Grundrechenarten, Addieren und Subtraktieren. Denn 2005 mußte die Regierung 157,145 Mrd. R$ Zinsen zahlen, aber der primäre Haushaltsüberschuß reichte leider nicht dazu, es blieben 63,641 Mrd. R$ übrig, die der Schuld zugeschlagen werden mußten. Und so wird das Haus wieder nicht bestellt (was der „normale“ Wähler sicher nicht mitbekommt und was ihn wahrscheinlich auch kalt läßt) und der frühere Gewerkschaftschef, der als Präsidentschaftskandidat gegen die unmoralischen und damals wesentlich niedrigeren Bankengewinne wetterte, muß sich eine bankenfreundliche und industriefeindliche Politik vorwerfen lassen.

20 Februar 2006

Ausländisches Wagniskapital zahlt keine Gewinnsteuern mehr

Endlich ist die brasilianische Regierung aufgewacht und versucht mit den übrigen BRIC - Staaten mitzuhalten. Ab sofort entfällt die 15%ige Besteuerung von Gewinnen, die mit von ausländischem Wagniskapital finanzierten Unternehmen / Geschäften erzielt wurden. Der Wagniskapitalmarkt bewegte letztes Jahr 125 Mrd. US$, davon gingen 4 bis 5 Mrd. US$ nach China, 2 Mrd. US$ nach Indien und weniger als 100 Mio. US$ nach Brasilien. Um ausländische Wagniskapitalgeber nach Brasilien zu holen, werden im Juni je ein Brazil Day in New York und in San Francisco veranstaltet.

Größter Kapitalgüterimportzuwachs in Brasilien seit 1997

Letztes Jahr nahm der durch den starken Real begünstigte brasilianische Kapitalgüterimport um 21,4 % zu. Das fast täglich Rekordtiefstwerte brechende Länderrisiko Brasilien erleichterte dazu die Finanzierung dieser Importe. Viele brasilianische Unternehmen, die investieren wollen und müssen, gehen von einheimischen Maschinen und Anlagen wieder auf ausländische zurück, was u.a. deutsche Exporteure begünstigt, leider aber auch - vom deutschen Standpunkt aus gesehen - chinesische. Ich hatte bereits darüber berichtet, daß der brasilianische Stahlkocher Gerdau 230 Mio. US$ für Einkäufe in China zur Kapazitätsausweitung des Stahlwerkes in Ouro Branco im Bundesstaat Minas Gerais ausgibt, die insgesamt 1,2 Mrd. US$ kosten wird. Ein weiterer Pluspunkt für China waren die günstigen Zinsen von 6,8 % im Jahr, wobei der Kredit ohne die Notwendigkeit von Sicherheiten angeboten wurde. 75,5 % der mitgeteilten Gesamtinvestitionen sollen allerdings aus Brasilien kommen.

Der brasilianische Spritzgußmaschinenhersteller Sandretto mußte stark Kosten reduzieren, um weiterhin im heimischen Markt zu bleiben. Vor 2 Jahren kam eine europäische 100.000 € - Maschine für 360.000 R$ auf den brasilianischen Markt, heute sind es nur noch 270.000 R$. Die Konkurrenzprodukte aus China kosten sogar weniger als ein Drittel des Preises der brasilianischen Fabrikanten! Das kann vielleicht das deutsche Transrapid - Konsortium schon heute bestätigen und in einigen Jahren eventuell auch Airbus.

13 Februar 2006

Devisenbewirtschaftung, Wechselkurs, sozioökonomische Klassen Brasiliens

Die aktuellen Gesetze über die Devisenbewirtschaftung stammen von 1932 und sind mit Schuld daran, daß Brasilien vor allem in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts Wechselkurskrisen durchmachen mußte und drei Moratorien hinter sich hat, weil die Hartwährungsreserven nicht zum Begleichen der Verbindlichkeiten ausreichten. Wer heute von diesem anachronistischen Gesetzeswerk befreit werden will, kann nur darauf hoffen, daß endlich die in der Verfassung von 1988 vorgesehenen Änderungen reglementiert werden. Wer aber auch nur vorsichtig darüber spricht, setzt sich schon dem Verdacht der Nationalisten aus, das Land dollarisieren zu wollen; dieselben Leute, die streng darauf achten, daß die US-Regierung keine Soldaten schickt, um das Amazonasgebiet zu anektieren. Wer Brasiliens Geschichte kennt, weiß, daß wir fast ein Jahrhundert lang feste Wechselkurse hatten, bevor die „Wechselkursbänder“ eingeführt wurden, d.h. untere und obere Grenzwerte, zwischen denen sich der Kurs frei bewegen konnte.

Das jetzt anachronistische brasilianische Devisensystem wurde geschaffen, als das Land noch nicht industrialisiert war und nur Kaffee ausführte. Heute ist der Zustand, daß der Exporteur seine Hartwährungseinnahmen innerhalb einer vorgeschriebenen Frist an die Zentralbank verkaufen muß zum gerade gültigem Kurs, der ja heute nicht mehr fix ist oder in einem vorbestimmten Band liegt, einfach nicht mehr haltbar. Vor allem, weil Hartwährungsgeschäfte zwischen Brasiliens Bewohnern, unabhängig von Ihrer Herkunft und ob es sich um juristische oder natürliche Personen handelt, verboten sind. Einzige Ausnahme: Eine der Personen ist registrierter und autorisierter Agent der Zentralbank. Selbst der Kauf von 250 Euro für eine Europareise fällt unter diese Bestimmung.

Und die Einrichtung von Fremdwährungskonten in Brasilien ist natürlich auch verboten, nebenbeibemerkt. Wenn also jemand wie meine Firma Eurolatina drei Kunden in Deutschland eine Nebenkostenrechnung über je 400 € schickt, muß für jede eingehende Überweisung die Überweisungsgebühr in Deutschland und die Zwangsumtauschgebühr in Brasilien bezahlt werden. Die Einrichtung eines Eurokontos auch in Deutschland und die Bündelung solcher Miniüberweisungen zur Reduzierung der Gebühren ist nicht möglich, offizielle Antwort der von mir befragten Zentralbank. Und die Rechnung auf dem brasilianischen durchnummerierten Rechnungsformular lautet natürlich auf Real, nicht auf Euro, denn Fremdwährungsrechnungen sind auch nicht gestattet.

Aber die Regierung glaubt immer noch, daß damit die Kontrolle über das Auslandskapital ausgeübt werden kann. Und dieses Auslandskapital strömt wegen der hohen Zinsen nach Brasilien, die brasilianische Regierung kann ihre Dollarschulden abbauen, das Länderrisiko Brasilien fällt auf ungeahnte Werte und alle sind glücklich. Wirklich? Und was ist, wenn die Zinsen, um diesen Kreislauf am Leben zu erhalten, weiterhin so hoch bleiben und sogar große Firmen wie Varig und Globo nur noch mit Regierungsgeldern (BNDES = brasilianische „KfW“) handlungsfähig bleiben? Ist das der versteckte Weg in den Sozialismus der Regierung Lula? Hoffentlich nicht!

Aber trotz meiner Unkenrufe will ich Erfreuliches verkünden: Die brasilianischen sozioökonomischen Klassen wurden von 2001 auf 2005 radikal „umgebaut“, die schwächste Klasse E, die 2001 noch 13,2 % der Haushalte ausmachte, lag 2005 nur noch bei 3,2 %. In der zweitniedrigsten Klasse D lagen 2001 noch 33,8 % aller Haushalte, 2005 waren es mit 31,1 % geringfügig weniger. Die Klasse C hatte 2001 einen Anteil von 30,9 % und 2005 von 37,9 %, die Klasse B machte 2001 nur 17,5 % aus, 2005 schon 22,8 %. Und selbst die stärkste Klasse A wuchs von 4,6 % in 2001 auf 5,0 % in 2005.

Die Beteiligung dieser Klassen am Konsum hat sich wie folgt entwickelt: Die Klasse A hatte 2001 einen Anteil von 23,6 %, der 2005 geringfügig auf 23,3 % zurückging. Die Klasse B konnte den Anteil von 34,6 % in 2001 in 2005 auf 38,2 % ausbauen. Die bevölkerungsmäßig stärkste Klasse C konnte den Konsumanteil von 26,2 % in 2001 auf 27,2 % in 2005 steigern, die Klasse D von ging von 13,3 auf 10,7 % und die Klasse E von 2,3 auf 0,6 % zurück.

Der Konsum nahm von 716,3 Milliarden R$ in 2001 auf 1,068 Billionen R$ in 2005 zu.

Die reinen Zahlen sehen schon ganz gut aus, aber es ist auch wichtig zu wissen, wofür die Bevölkerung ihr Geld ausgibt. Und dazu will ich einige Werte der Klasse C, in der ein Haushalt monatlich bis zu 1.800 R$ zur Verfügung hat, angeben. Diese Klasse gab 2001 insgesamt 187,6 Milliarden R$ aus und 2005 bereits 290,5 Milliarden R$, also 55 % mehr! In diesem Zeitraum nahmen die Ausgaben der Klasse C für das eigene Fahrzeug um 269,9 %, für Schuldgeld um 179,2 %, für Reisen um 113,1 %, für Erholung und Kultur um 94,4 %, für Körperpflege um 92,3 %, für Bücher und Schulmaterial und für Kleidung um 68,6 % zu. Mit anderen Worten, an die Stelle des Hähnchen und des Joghurts sind MP3 - und andere digitalen Geräte und Pauschalreisen getreten, eine durchaus sehr erfreuliche Entwicklung.

Dies zeigt mal wieder, wie stark Brasilien ist, trotz einer krisengeschüttelten halbgelähmten Regierung solche Ergebnisse! Was hätten wir für ein Paradies, wenn die Opposition das machte, was sie sagt (oder auch die Regierung).