22 Juli 2012

Wer viel verkauft, hat Glück!

Wer zuviel verkauft, verwandelt sein Glück in Unglück, wie zur Zeit die grossen Telekommunikationsunternehmen in Brasilien, von denen drei in von der Anatel festgelegten Bundesstaaten keine neuen Mobiltelefonverträge mehr abschließen dürfen, bis sie genug investiert haben, um ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden auch nachzukommen. Anatel ist die zuständige Aufsichtsbehörde. Nur Vivo, der Marktführer, wurde von diesem Verbot verschont. Von 2009 bis 2011 nahm die Anzahl der Mobiltelefonlinien um 40 % zu, ein rasantes Wachstum. Die Bevölkerung ist damit eigentlich schon überversorgt, denn 242 Millionen Mobiltelefonlinien für 194 Millionen Einwohner zeigt eine deutliche Sättigung an. 2009 sprachen die Mobiltelefonkunden im Mittel pro Monat 86 Minuten, 2011 waren es 115 Minuten, ein Zuwachs von 34 %.

Im Juni 2012 war die Zahl der Mobiltelefone in Brasilien sogar weiter gestiegen, auf 256,1 Millionen Linien; 209,2 Millionen davon prepaid, der Rest mit Vertrag. Vivo ist der Marktführer mit 29,6 %, dann kommt TIM mit 26,9 %, Claro mit 24,6 % und Oí mit 18,6 % sowie 0,3 % sonstigen Anbietern. TIM führt die Liste der Reklamationen an, 30.900 in den letzten 12 Monaten. Es folgt Claro mit 25.900, Oí mit 19.500 und Vivo mit 13.700. Also auch mit dem Marktführer ist der Kunde unzufrieden.

21 Juli 2012

Botschaft an meine Blogleser



Wohin geht die Reise?

Brasilien wird in den letzten Wochen unterschiedlich beurteilt und ich werde immer wieder von Kunden, die mich in Brasilien besuchen, gefragt, wie die Lage sei. Eine einheitliche Antwort gibt es nicht, denn auf der einen Seite leidet zum Beispiel die Kfz-Branche unter einem Absatzrückgang, während auf der anderen Seite Logistikunternehmen den damit verbundenen schrumpfende Umsatz mit diesem Sektor durch steigende Umsätze im Pharmabereich kompensieren. Der IMF warnt vor einer Stagnation, sieht aber Licht am Ende des Tunnels zum Jahresende. Merkwürdig, wie sich oft Prognosen ähneln: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Dabei fällt die Lagebeurteilung Brasiliens durch den IMF sehr sanft aus, unsere hiesige Regierung dürfte entzückt sein, obwohl die Zentralbank sagt, dass der IMF-Bericht überholt sei, weil er sich auf drei Monate alte Daten beziehe. Die IMF-Kritik bezieht sich vor allem auf die Nutzung des Konsums über Kredite zur Ankurbelung der Wirtschaft und mahnt zum Sparen und Beobachtung der Inflationsentwicklung. Die Regierung kontert und sagt, dass man froh sei, dass der Mittelstand im grossen Umfang durch Aufsteiger vergrössert würde, die sich nur über Kredite Zugang zu den begehrten Konsumgütern verschaffen könnten. Und betont, dass man dafür gesorgt habe und weiter sorge, dass Kredite billiger würden. Sichtbares Zeichen ist der Leitzins von 8 % pro Jahr, der sah schon mal ganz anders aus:
Aber die Banken, d.h. die privaten Geschäftsbanken, sind hart im Nehmen und senken die Zinsen für den Kreditnehmer nur sehr zögerlich. Als die Regierung ausländischen Banken den Zugang zum hiesigen Markt öffnete, geschah dies mit dem Hintergedanken, dass durch den dadurch ausgelösten Wettbewerb mit den lokalen Banken eine Zinssenkung stattfinden würde. Weit gefehlt, die neuen Marktteilnehmer gewannen sofort Geschmack an der Situation und machten das Spiel mit. Erst als die Regierung die Zinsen der staatlichen Finanzinstitute senkte, zogen einige der privaten Banken nach, sehr zögerlich und sehr schüchtern. Als Beispiel zeige ich hier die Bandbreite der aktuellen monatlichen Zinsen für die Finanzierung eines Autos:
Der grösste Kreditnehmer ist die Regierung selbst und diese gibt das durch Steuern eingenommene und das geliehene Geld mit vollen Händen aus, leider aber kaum für sinnvolle Investitionen, weil durch die sich ständig erhöhenden Personalausgaben der öffentlichen Hand dafür erstens keine ausreichenden Mittel und zweitens nicht genug Projekte und drittens nur unzureichende Projektmanagementfähigkeiten verfügbar sind. 

Was macht jetzt unser BIP-Wachstum? Das zuständige Schatzministerium senkte seine Voraussage für dieses Jahr von 4,5 auf 3 %, immerhin noch mehr als die 2,7 %, die wir 2011 tatsächlich erreicht haben.  Aber die Zentralbank glaubt nur an 2,5 % und der Finanzmarkt ist bei seiner Prognose schon unter 2 % gelandet. Was nichts anderes bedeutet, als dass alle im Dunkeln tappen und die Regierung dabei laut pfeift, um sich und den Regierten Mut zu machen. Die Präsidentin geht tapfer voran und betonte vor einigen Tagen bei einer Veranstaltung, dass ein Land wie Brasilien nicht am Wirtschaftswachstum, sonder nur daran, was es für seine Kinder tue, beurteilt werden könne. Mit solchen Aussagen wird sie ihrem ehemaligen (?) Chef Lula immer ähnlicher. 

Was tut nun Brasilien für seine Kinder? Bietet das Land endlich eine ausreichende Ausbildung auf breiter Basis an, die es ermöglicht, den Zugang der Benachteiligten zur Universität auch ohne Quotenregelung zu garantieren? Ich fürchte, dass dies noch nicht der Fall ist. Und die Situation ist besorgniserregend, wie es eine Studie der NGO Ação Educativa zeigt. Danach haben 38 % der Studenten keine ausreichenden Grundfähigkeiten im Lesen und Schreiben! Der funktionale Analphabetismus ist also weit verbreitet und führt dazu, dass viele Erwachsene nicht verstehen, was sie lesen und keinen Zusammenhang zwischen empfangenen Informationen herstellen können. Das ist katastrophal, denn heute geht fast jedes Kind in Brasilien zur Schule - aber es lernt dort nicht ausreichend. Wobei sicher die schlechte Bezahlung der Lehrer (die qualifizierte Lehrkräfte ermutigt, sich andere Berufe zu suchen), ihre häufigen Streiks, die unzureichenden Lehrmittel und das elterliche Umfeld, welches oft ein ruhiges Lernen erschwert, eine grosse Rolle spielen. Und auch der falsche Stolz eines ehemaligen Präsidenten, der zwar etliche Ehrendoktorhüte besitzt, sich aber damit rühmte, noch nie ein Buch gelesen und trotz fehlenden Universitätsdiploms das höchste Amt im Staat erhalten zu haben. Was sicher nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist und sein sollte. Und die Lösung des Problems ist sicher nicht die Herabsetzung der Zugangshürden der Universitäten, um voller Stolz auf steigende Diplomverleihungen hinzuweisen. Denn diese sind oft nichts wert. 

Abschließend zeige ich Ihnen, wo man Diplome erwerben kann, die wirklich etwas bedeuten:

Der einzige brasilianische Nobelpreisträger Peter Medawar, geboren in Petrópolis, hatte übrigens eine britische Mutter und einen libanesischen Vater, besaß die britische Staatsangehörigkeit und lebte bis an sein Lebensende in England.

Auf der Liste der "Nobelpreisträger per Capita" nimmt Brasilien leider nur den letzten Platz ein:

RankCountryNobel
laureates[1]
Population
(2011)[2]
Laureates/
10 million
 Faroe Islands149,267202.976
1 Saint Lucia2161,557123.795
2 Luxembourg2503,30239.738
3 Switzerland257,639,96132.723
4 Iceland1311,05832.148
5 Sweden299,088,72831.908
6 Denmark145,529,88825.317
7 Austria208,217,28024.339
8 Norway114,691,84923.445
9 United Kingdom11862,698,36218.820
10 Timor-Leste21,177,83416.980
11 Israel107,473,05213.381
12 Ireland64,670,97612.845
13 Germany10381,471,83412.642
14 Netherlands1916,653,73411.409
15 United States332311,050,97710.673
16 Hungary99,976,0629.022
17 Cyprus11,120,4898.925
18 France5865,102,7198.909
19 Belgium910,431,4778.628
20 Trinidad and Tobago11,227,5058.147
21 Finland45,259,2507.606
22 New Zealand34,290,3476.992
23 Canada2134,030,5896.171
24 Liberia23,786,7645.282
25 Australia1121,766,7115.054
26 Slovenia12,000,0925.000
27 Czech Republic510,190,2134.907
28 Macedonia12,077,3284.814
29 Latvia12,204,7084.536
30 Bosnia and Herzegovina24,622,1634.327
 Tibet[3]13,040,7503.289
31 Italy2061,016,8043.278
32 Poland1238,441,5883.122
33 Lithuania13,535,5472.828
 Palestinian Authority[4]14,225,7102.366
34 Croatia14,483,8042.230
35 Costa Rica14,576,5622.185
36 Greece210,760,1361.859
37 Portugal210,760,3051.859
38 South Africa949,004,0311.837
39 Spain846,754,7841.711
40 Russia23138,739,8921.658
41 Guatemala213,824,4631.447
42 Japan18127,469,5431.412
43 Bulgaria17,093,6351.410
44 Hong Kong17,122,5081.404
45 Romania321,904,5511.370
46 Argentina541,769,7261.197
 World[5]8306,946,043,9891.195
47 Chile216,888,7601.184
48 Azerbaijan19,235,100[6]1.083
49 Belarus19,577,5521.044
50 Algeria234,994,9370.572
51 Egypt482,079,6360.487
52 Taiwan123,071,7790.433
53 Yemen124,133,4920.414
54 Ghana124,791,0730.403
55 Venezuela127,635,7430.362
56 Peru129,248,9430.342
57 Mexico3113,724,2260.264
58 Iran277,891,2200.257
59 Kenya141,943,5040.238
60 Colombia144,725,5430.224
61 Ukraine145,134,7070.222
62 Korea, South148,754,6570.205
63 Burma153,999,8040.185
64 Turkey178,785,5480.127
65 Vietnam190,549,3900.110
66 India91,189,172,9060.076
67 Bangladesh1158,570,5350.063
68 Nigeria1165,822,5690.060
69 Pakistan1187,342,7210.053
70 China71,336,718,0150.052
71 Brazil1203,429,7730.049
Auch bei Betrachtung der absoluten Zahlen ohne Berücksichtigung der Einwohnerzahl ist Brasilien nur das Schlusslicht, von den 830 Nobelpreisträgern der obigen Liste stammen 332 aus den USA, 118 aus Großbritannien und 103 aus Deutschland, alle anderen Länder haben weniger als 100 Ausgezeichnete, angeführt von Frankreich mit 58. Liegt die schlechte Position Brasiliens vielleicht auch daran, dass das Land von Portugal kolonisiert wurde? Denn das kleine Portugal hat gerade mal 2 Nobelpreisträger, das auch kleine Israel aber 10.

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