10 April 2019

Die Rolle der Industrie in Brasilien

Was waren das für Zeiten, als Lula 1978/79 Arbeitswilligen mit seinen Gewerkschaftsgenossen den Zugang zu den Arbeitsplätzen versperrte und selbst die Polizei nicht einschritt, obwohl doch damals die Generäle "an der Macht waren". Wer es nicht glaubt - ich bin Augenzeuge, denn Lulas Genossen standen vor der von mir geleiteten Fabrik und die gerufene Polizei erschien erst gar nicht. Schwamm drüber, das ist Schnee von gestern.

Leider nicht Schnee von gestern ist die Tatsache, dass man von Dienstleistungen alleine nicht leben kann, denn der beste Service schützt nicht vor Regen und Kälte, kleidet nicht ein, bietet keine Schlafstelle an, transportiert weder Menschen noch Lasten und macht nicht satt und stillt keinen Durst. Denn dazu braucht man Häuser, Kleidung, Betten, Transportmittel, Lebensmittel und Getränke. Und die materialisieren sich nicht einfach, sondern müssen hergestellt werden. Zwar können immer weniger Menschen für immer mehr Menschen diese Dinge produzieren, aber selbst bei Vollautomatisierung kommt man am Produktionsprozess nicht vorbei.

Und der spielt eine immer weniger wichtige Rolle in Brasiliens Wirtschaft. 2018 betrug der Anteil der verarbeitenden Industrie am BIP nur noch 11,3%. Dieser Anteil wird seit 1947 ermittelt und war noch nie so niedrig wie heute. In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Lulas Gewerkschaft noch stark war und "alle Räder stillstehen" lassen konnte, betrug dieser Anteil fast 30%.
Anteil in % der verarbeitenden Industrie am BIP Brasiliens
Die Deindustrialisierung Brasiliens scheint unaufhaltbar zu sein. Wie konnte es dazu kommen?

Ganz einfach, unsere Industriellen wandelten sich zu Händlern, die aufgrund des starken Real Importware billig kaufen und teuer weiterverkaufen konnten. Das war einfacher, als sich durch Investitionen und Innovationen international wettbewerbsfähig zu machen. Wobei man gerechterweise anmerken muss, dass der brasilianische Staat in der Vergangenheit alles versucht hat, die Erlangung dieser Wettbewerbsfähigkeit zu erschweren. Erst Bolsonaro versucht ernsthaft, die sogenannten custos Brasil zu reduzieren und ihm werden alle möglichen und unmöglichen Hindernisse in den Weg gestellt. Wenn es ihm gelingt, die Bürokratie, die unsere Wirtschaft, nicht nur die Industrie, lähmt, zu beseitigen, kann Brasilien endlich abheben. Vorerst ist es noch nicht so weit und der Real ist auch nicht mehr so stark wie früher, d.h. die Importe sind viel teurer geworden und erschweren dadurch nicht nur das Leben der Verbraucher, sondern verhindern, dass die Industrie importierte Betriebsmittel einsetzt, um die Produktivität ihrer Fabriken zu verbessern.

Diese Produktivität ist nicht nur eine Frage der Betriebsmittel und der Staatsbürokratie, sondern auch der Ausbildung der Menschen, die in den Fabriken arbeiten. Was getan werden muss, weiß eigentlich jeder in Brasilien. Die große Frage ist, warum wird so wenig gemacht, um den gewünschten Zustand zu erreichen? Die Antwort darauf ist auch bekannt, aber unbequem und vielleicht politisch nicht korrekt. Aber durch andauernde nicht konstruktive Kritik an Bolsonaro und seinen Ministern und durch Berufspessimismus und Gutmenschenbesserwisserei werden wir im status quo verharren oder uns sogar noch verschlechtern.


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