Stefan Schmersal war bestens vorbereitet, um in Brasilien ein Unternehmen zu gründen. Seine Familie betrieb seit den Siebzigerjahren eine Schaltgerätefabrik in dem Amazonasstaat, er selbst hatte dort schon gearbeitet, spricht fließend Portugiesisch und kennt den Alltag im Land.
Dennoch war Schmersal überrascht, wie kompliziert und teuer es für ihn wurde, einen weiteren Betrieb in der Nähe von São Paulo zu gründen. Ein halbes Jahr dauerte der Kampf um Betriebsgenehmigung, Steuernummer und Eintrag ins Firmenregister. Allein die Lizenz zum Import von Produkten aus Deutschland ließ mehrere Monate auf sich warten. Viel öfter als erwartet musste sich Schmersal teurer und nervenaufreibender Hilfe von Anwälten und Beratern bedienen. Bis heute durfte er, aus Angst der Banken vor Geldwäsche, in Brasilien nicht einmal ein privates Bankkonto eröffnen.
„Lästig, aufwendig und zeitintensiv“, schimpft Schmersal. „Die Auflagen für ausländische Unternehmer sind hemmend und gelegentlich investitionsfeindlich.“ Dabei ist der 55-jährige Unternehmer aus dem nordrhein-westfälischen Löhne alles andere als ein ahnungsloser Provinzler. Seine Steute Schmersal Schaltgeräte GmbH & Co. KG betreibt schon seit Jahren Niederlassungen auch in den USA und China. Schmersal kann vergleichen und urteilt: „In Brasilien ist die Unternehmensgründung so schwierig wie in China.“
Solche Erfahrungen machen immer mehr deutsche Mittelständler. Denn vor allem kleinere und mittlere Unternehmen zieht es derzeit in Scharen nach Brasilien. Zu den 25. Deutsch-Brasilianischen Unternehmertagen in dieser Woche im südbrasilianischen Blumenau kommen so viele Teilnehmer wie noch nie. Sogar Präsident Luis Inácio Lula da Silva wird die bisher eher seltenen Gäste aus Alemanha beehren. „Wir erleben eine eindeutige Trendwende“, sagt Rolf Dieter Acker, Präsident der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in São Paulo. „Nach den Großunternehmen in den Siebzigerjahren und der Auto-Industrie in den Neunzigern kommen jetzt vor allem kleine Unternehmen aus Deutschland nach Brasilien.“
Die Einwanderer lockt der Wachstumsmarkt des südamerikanischen Riesen: Die zehntgrößte Volkswirtschaft erlebt den längsten Aufschwung seit 30 Jahren. Mit dem B für Brasilien gehört das Land mit Russland, Indien und China zu den sogenannten BRIC-Staaten, den wachstumsstärksten Regionen der Welt. Als Rohstofflieferanten haben es brasilianische Unternehmen wie Petrobras oder Companhia Vale do Rio Doce zu Weltruhm gebracht.
Davon wollen deutsche Dienstleister und Zulieferer profitieren. Vor allem in den Branchen Logistik, Energie, Umwelt, Bau und Landwirtschaft winkt das große Geschäft. Brasilien muss gewaltig in die Infrastruktur investieren, wo nach vielen Krisenjahren der Nachholbedarf immens ist. Auch die Fußballweltmeisterschaft 2014, soll einen zusätzlichen Schub bringen. „Viele Mittelständler sind enttäuscht vom Geschäft in China – und schauen sich nach neuen Märkten um“, sagt der Unternehmensberater Sönke Böge in São Paulo: „Brasilien ist da eine attraktive Alternative.“
Doch die Newcomer aus dem Mittelstand unterschätzen regelmäßig die Startschwierigkeiten. Die heutige Generation der Geschäftsführer und Eigentümer hat ihre Auslandserfahrungen vor allem in Osteuropa und Asien gesammelt. „Es fehlen Nachwuchsmanager mit Erfahrungen in Südamerika“, sagt Thomas Timm, Geschäftsführer der Handelskammer in São Paulo. Die meisten meinen irrtümlich, das vermeintlich westliche Brasilien einschätzen zu können. „Auch global erfahrene Mittelständler denken oft, Brasilien funktioniere mehr oder weniger wie Deutschland, weil alles europäisch aussieht“, sagt Andreas Sanden, Rechtsanwalt in São Paulo: „Doch das täuscht.“
Im brasilianischen Gesellschaftsrecht oder beim Verbraucherschutz etwa gleichen die Regeln zwar den deutschen, doch sie werden anders angewendet. Zwar ist auch in Deutschland der Umgang mit Steuern und Abgaben komplex – in Brasilien aber ist der Paragrafendschungel noch dichter. Nur der beauftragte Fatorista, der Steuerberechner, hat den Durchblick. Regelungen ändern sich extrem häufig und in kaum nachvollziehbarer Weise – aber das Finanzamt ahndet streng jede Nachlässigkeit. „Kleinste Fehler bei den Angaben können sich nach ein paar Jahren zu horrenden Strafen summieren“, sagt Wirtschaftsanwalt Hans Jürgen Holweg.
Auch das arbeitnehmerfreundliche Arbeitsrecht Brasiliens, das aus den Dreißigerjahren stammt, kann deutsche Mittelständler viel Geld kosten. Kontrolliert ein Unternehmen zum Beispiel die Arbeitszeiten seiner Angestellten nicht, drohen ihm auch Jahre später noch hohe Nachzahlungen an Mitarbeiter für angeblich geleistete Überstunden oder Wochenendarbeit. Auch Handelsvertreter werden im brasilianischen Arbeitsrecht begünstigt. So können deren Arbeitsverträge, wenn sie befristet sind, nicht verlängert werden, sondern gehen automatisch in unbefristete über, wenn sie nicht tatsächlich beendet wurden. Oder Mitarbeiter, die in guten Zeiten Boni erhalten haben, können in schlechten Zeiten die Zulagen einklagen, weil sie ein Recht dazu erlangt haben.
Überrascht stellen viele Neueinsteiger fest, dass Brasiliens Regeln alles andere als locker sind im Land des überbordenden Karnevals. „Hier geht es für ausländische Unternehmen nicht flexibler zu als in Deutschland“, sagt Anwalt Thomas Benes Felsberg, „deswegen sollten sie gar nicht erst versuchen, brasilianische Sitten zu übernehmen.“ Ausländische Firmen werden von den Behörden tendenziell genauer geprüft. Und die Gesetzgebung hat sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend gewandelt. Die Umweltvorschriften etwa sind heute so streng wie in den USA. Auch wer eine Firma kauft und die Immobilie nicht sorgfältig durchcheckt, kann böse Überraschungen erleben: Er haftet für Altlasten, aber auch für anderes Fehlverhalten des Vorbesitzers in der Vergangenheit.
So sperrte die brasilianische Umweltbehörde kürzlich einem deutschen Zulieferer für die Bauindustrie sein frisch erworbenes Firmengelände. Die Sanierung würde mehr kosten als das Areal. Jetzt droht dem Unternehmen noch eine Umweltklage. „Deutsche Unternehmen müssen genau analysieren, ob sich ihr Geschäft noch lohnt, wenn sie alle gesetzlichen Auflagen einhalten“, empfiehlt Felsberg. Denn der brasilianische Konkurrent kann durch seine lokalen Kontakte eher darauf setzen, dass die Behörden ihn in Ruhe lassen.
Selbst wenn die Ansiedlung klappt, unterschätzen viele Neueinsteiger die Kosten, um in Brasilien ins Geschäft zu kommen. „Die wenigsten Mittelständler haben eine Vorstellung ihres längerfristigen Finanzbedarfs“, sagt der Unternehmensberater Karlheinz Naumann in São Paulo. Die Gründung einer Handelsvertretung verschlingt drei Monate. Um ein Unternehmen auf die Beine zu stellen, vergeht ein halbes Jahr – so lautet eine Faustregel für Firmengründungen, die reibungslos über die Bühne gehen. Dafür müssen 40.000 bis 60.000 Euro veranschlagt werden. Noch länger dauert es, bis die ersten Aufträge eintreffen. Durststrecken über ein, zwei Jahre sind üblich. „Wer dann vom Mutterhaus keinen Kredit bekommt, hängt schnell durch“, sagt Anwalt Sanden. Denn deutsche Banken, die bei den ersten Finanzierungen helfen könnten, sind in Brasilien rar. Lokale Institute bieten Kredit nur gegen horrende Zinsen.
Auch die Besetzung von Führungspositionen misslingt oft. Deutsche und brasilianische Chefs unterscheiden sich in ihrer Mentalität. „Ein deutscher Mittelständler will selbst anpacken“, sagt Anwalt Rolf Petermann, „ein brasilianischer Unternehmer hält sich erst für erfolgreich, wenn andere für ihn arbeiten.“ „Wenn Ihnen ein blauäugiger Deutschbrasilianer gegenüber sitzt, glauben Sie zu wissen, wie der denkt“, warnt Personalberater Böge, „das ist aber falsch."
Kommt der vermeintliche Landsmann dann noch nett und verbindlich daher, ist die Gefahr umso größer, ihn zu unterschätzen. Gerade Mittelständler zögern, sich bei der Rekrutierung professioneller Hilfe zu bedienen. „Die vertrauen lieber auf den Rat eines Amigos, als einen Headhunter zu bezahlen“, sagt Anwalt Sanden, der sich öfters über die Personalentscheidungen seiner Klienten wundert. „Wenn der künftige Geschäftsführer länger über sein Dienstwagenmodell diskutiert als über Umsatzziele, dann stimmt was nicht.“
Trotz aller Schwierigkeiten lohnt sich für die meisten Mittelständler offenbar der teure Einstieg in Brasilien. „Der Markteintritt wird meist ein Drittel teurer als geplant“, sagt Anwalt Böge, „dafür machen sie in fünf Jahren doppelt so hohe Gewinne wie erwartet.“ Anwalt Felsberg empfiehlt den Newcomern deshalb, nicht nach dem ersten Rückschlag aufzugeben: „Am besten, Sie haben es nicht so eilig.“
[21.11.2007] alexander.busch@wiwo.de (São Paulo)
Meine Anmerkungen: Wenn Sie in die Überschrift klicken, kommen Sie zum Originalbeitrag in der Wirtschaftswoche. Was das Zitat angeht, nach dem ich 40.000 bis 60.000 € für reibungslose Firmengründungen nenne, möchte ich darauf hinweisen, dass die reine Firmengründung natürlich billiger ist. Aber bis Ihre neu gegründete Firma arbeitsfähig ist, also einschließlich erster Büroausstattung und -besetzung müssen Sie durchaus mit der genannten Summe rechnen. Alles andere wäre unrealistisch. Im übrigen wird von Herrn Busch genau das gesagt und zitiert, was ich auch in meinem im April 2008 erscheinenden Buch "Wirtschaftsboom am Zuckerhut" schreibe, nämlich dass es sich wirklich lohnt, nach Brasilien zu kommen, aber mit der entsprechenden Vorbereitung und einer fachmännischen landeskundigen Begleitung.
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