11 März 2006

Blick zurück: BRASILIEN AKTUELL vom 14.12.2003

Eigentlich hatte ich es immer für eine Übertreibung gehalten, daß man nach Meinung der Brasilianer außerhalb Brasiliens glaube, daß unsere Hauptstadt Buenos Aires heiße. Aber da ich gerade in Deutschland zu Geschäftsbesprechungen war, kann ich jetzt bestätigen, daß vielleicht doch etwas dran sein könnte an dieser Behauptung. Denn selbst die von mir hochgeschätzte und beim Frühstück gelesene FAZ schreibt über Brasilien aus Buenos Aires und nennt in einem Artikel über Angriffe auf Polizeistationen u.a. in Santos den Strand Praia Grande ganz einfach Playa Grande und das ist nur ein Beispiel in diesem Artikel für die Annahme, daß in Brasilien Spanisch gesprochen wird.

Da darf man sich dann nicht wundern, wenn "ganz gewöhnliche" deutsche Geschäftsleute manchmal etwas uninformiert wirken, wenn über Brasilien gesprochen wird. Ich sage das, weil viele Firmenchefs uns fragen, ob wir ihre Produkte gegen eine Provision in Brasilien an den Mann bringen können und muß dann nicht nur erklären, daß meine Firma Eurolatina keine Handelsvertretung ist, sondern auch, daß ein Markteintritt in einem Land, welches größer als Europa ist, ohne Investition seitens des Exporteurs nicht machbar ist - es sei denn, dieser findet über uns einen im Markt eingeführten Handelspartner mit einem laufendem Geschäft, welches die Markteinführungskosten für das neue Produkt verträgt. Schließlich käme auch niemand auf die Idee, einen Handelsvertreter in Oslo für einen unverbindlichen Kundenbesuch auf dessen Kosten nach Rom zu schicken.

Aber Investitionen in einen Markteintritt lohnen sich fast immer, Wettbewerbsfähigkeit vorausgesetzt. Denn das Geschäftspotential ist in manchen Fällen enorm, z.B., wenn man mit Firmen wie Petrobrás oder Vale do Rio Doce Geschäfte machen darf. Dies erfordert aber einen langen Atem, die Markteintrittsschwelle ist sehr hoch und die Konkurrenz hart. Aber wer sich z.B. als Lieferant an der Exploration der gerade vor Santos gefundenen Erdgasvorräte beteiligen kann und seine Preise durchsetzt, kann sich glücklich schätzen, denn ein Kunde wie Petrobrás kann zumindestens heute jede Rechnung zahlen - ganz im Gegensatz zu einigen Automobilherstellern. Petrobrás hat hauptsächlich durch die Koppelung der brasilianischen Inlandstreibstoffpreise an den Weltmarktpreis des Rohöles in US$ einen Rekordgewinn erzielt, 1,848 Mrd. US$ (22,6 % Umsatzrentabilität! Exxon Mobil erreichte nur 6,9 und Chevron Texaco 6,5 %) von Juli bis September, mehr als IBM, JP Morgan Chase, Morgan - Stanley, Coca Cola und Procter & Gamble und fast soviel wie Microsoft (2,041 Mrd. US$). Damit ist Petrobrás auf Platz 12 der lukrativsten Firmen beider Amerika gelandet. Im gleichem Vorjahreszeitraum langte es mit 608 Mio. US$ nur zum Platz Nr. 39. Kein Wunder, daß die Firma in New York Anfang Dezember 750 Mio. US$ aufnehmen kann mit einer Laufzeit von 15 Jahren und einer Verzinsung von 8,5 %. Der brasilianische Flugzeughersteller Embraer erhält wie in diesem Jahr in 2004 von der BNDES (ähnlich KfW) einen 1,8 Mrd. US$ - Kredit. Insgesamt braucht die Firma nächste Jahr das Doppelte, um 160 Düsenflugzeuge auszuliefern, für 2005 sind 170 geplant.

Dazu paßt die Nachricht, daß die brasilianische Zentralbank eine Risikozentrale schafft, die helfen soll, den spread zu halbieren. In dieser Risikozentrale sollen die Daten von 15 Millionen Kreditnehmern gespeichert werden, von denen 10 Millionen ihre Daten auf keinen Fall in dieser Datenbank sehen wollen. 85 % der gespeicherten Kreditnehmer sind pünktliche Zahler und sollen deshalb künftig billigere Kredite als die unsicheren Kantonisten erhalten. Laut Zentralbank wächst das Kreditvolumen seit Juli wieder leicht, im Juli wurden Kredite für 213 Mrd. R$ vergeben, im August waren es 214, im September 216 und im Oktober 218. Persönliche Kredite kosteten im März 100,6 % jährlich, im Oktober "nur" noch 83,3 %. Überziehungskredite (cheque especial) erreichten ihren Höchststand im April mit 178,5 % und lagen im Oktober bei 147,4 % jährlich. Das ist der niedrigste Wert seit Juni 2001. Zwischen Juli und Oktober 2003 wurde der Leitzins um 9 Prozentpunkte zurückgenommen, die Banken gaben davon 8,1 weiter.

Laut einer am 4.12.03 veröffentlichten Studie mußten allein im Bundesstaat São Paulo zwischen 1990 und 2002 ca. eine Million kleine und mittlere Firmen ihre Tore schließen. 21,1 Mrd. R$ persönlicher Ersparnisse und 182,5 Mrd. R$ Jahresumsatz gingen in diesen 12 Jahren den Bach hinunter, immerhin 1,4 % des BIP. Gleichzeitig wurden zwischen 4,4 und 6,9 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Der genaue Wert ist nicht festzustellen, weil viele Firmen ihre Mitarbeiter wegen der damit verbundenen Kosten und Bürokratie nicht vollständig oder überhaupt nicht registrieren. Von 10 Firmen, die aufmachen, überleben nur 4 das fünfte Jahr, ein trauriger Rekord. Vor zwei Jahren lag dieser Wert bei 3 Firmen, also immerhin eine kleine Verbesserung. Was sind die Gründe für diese hohe Sterblichkeit? Fünf werden in der Studie genannt, nämlich keine Planung, schlechtes Unternehmensführung, keine regierungsseitige Unterstützung (z.B. durch Entbürokratisierung, niedrigere Steuern und Zurverfügungstellung von erschwingbaren Krediten), die allgemeine Rezession und last, but not least, Streit unter den Anteilseignern, oft Mitglieder derselben Familie.

Wollen Sie weitere schlechte Nachrichten lesen? Die Arbeitslosenquote in der Region Groß - São Paulo wird 2003 einen neuen traurigen Rekord erreichen. 1999 betrug sie 19,3 %, in 2000 ging sie auf 17,7 % zurück und 2002 langte sie wieder bei 19 % an. Im September 2003 waren es 20,6 %, der höchste je registrierte Wert seit Einführung der Aufschreibungen in 1985. Und das bei einem Präsidenten, der als hauptsächliches Wahlversprechen die Schaffung neuer Arbeitsplätze auf seine Fahne geschrieben hatte. Und zusätzlich fällt seit 10 Monaten in ununterbrochener Folge das Realeinkommen der Glücklichen, die Arbeit haben. In São Paulo betrug der Rückgang vom Oktober 2003 zum Oktober 2002 15,3 %, in Rio 19,1 %. Die Selbständigen verloren mit 22,1 % am meisten, Offiziell eingestellte Mitarbeiter gingen 10,6 % verlustig, bei den inoffiziell Beschäftigten waren es 5,1 %.

Und bei diesen Arbeitslosenzahlen will uns die IG Metall weismachen, daß bei Thyssen - Krupp in Barra do Pirai manche Arbeiter bei 44 Stunden normaler wöchentlicher Arbeitszeit mehr als 40 % Überstunden "schieben", wie man es in der neuesten Ausgabe "METALL - DAS MONATSMAGAZIN DER IG METALL " unter der Rubrik "Internationales" lesen kann. Weitere Höhepunkte dieses Berichtes von Fritz Arndt, der den Titel: "Wo bleibt die soziale Verantwortung?" trägt: "Aber die Arbeitsverhältnisse sind oft mittelalterlich, in vielen Betrieben arbeiten Beschäftigte wie im 19. Jahrhundert. Arbeitgeber lassen Kinder für sich schuften - insgesamt leisten vier Millionen Erwerbsarbeit - oder halten sich Beschäftigte als Sklaven. Wer krank ist, riskiert in Brasilien seine Kündigung. Da auch Rechtsgrundlagen für Betriebsräte fehlen, existieren kaum Arbeitnehmervertretungen. Recht auf Streiks? Nur wenn die Gerichte einverstanden sind. Bei den multinationalen Konzernen kommt angesichts solcher Zustände Freude auf. Allein aus Deutschland haben sich 1200 Betriebe in Brasilien angesiedelt, viele halten die Region um São Paulo inzwischen als den größten deutschen Industriestandort. "Die Unternehmen gehen immer dorthin, wo sie am Besten ausbeuten können", hat Ari Aloraldo do Nascimento vom Vorstand des Gewerkschafts-Dachverbands CUT erkannt, "diesen Umtrieben muss man Einhalt gebieten. Dass das buchstäblich auf die Knochen der Beschäftigten geht, hat die Thyssen-Krupp-Bosse bisher wenig interessiert. Dabei erinnert der Observatorio-Untersuchungsbericht fast an die Bestandsaufnahme nach einer Schlacht. Allein im letzten Jahr wurden 238 schwere Unfälle registriert, 206 im Jahr zuvor. Jeder zweite Arbeiter in Barra gab an, dass er in einen Arbeitsunfall verwickelt war."

Wer so etwas liest, kann eigentlich nur von Unwissenheit, wenn nicht Schlimmerem ausgehen. In welchem Land lebt der Verfasser eigentlich? Sicher nicht in dem Brasilien, welches ich kenne. Hier gibt es vieles zu kritisieren, z.B. die Art, in der die heutige Regierungspartei PT während ihrer Oppositionszeit dringend nötige Reformen verhindert hat, aber solche Kritik paßt sicher der IG Metall nicht ins Konzept.

Ich kam 1978 als technischer Geschäftsführer von Fichtel & Sachs nach Brasilien und kenne aus meiner Arbeit als Geschäftsführer, Berater und Unternehmer (in Brasilien, Südafrika und Mexiko) hunderte von Betrieben, rein brasilianische und multinationale. Und die meisten, vor allem die deutschen, sind vorbildlich was ihre soziale Verantwortung angeht, z.B. mit Werksarzt und -zahnarzt, betrieblicher Altersversorgung, Werkszeitschriften ohne Intervention der Firmenleitung, exzellenten Arbeitsbedingungen (5S - Programm, Betriebsbusse, Unfallverhütungskommissionen, Gymnastikpausen, Lean Production, Werkskantine, Lebensmittelpaketen zu Weihnachten…), einem Schild am Werkstor: "Unser letzter Arbeitsunfall liegt (z.B.) 230 Tage zurück" usw. Das brasilianische Arbeitsgesetz ist eines der arbeitnehmerfreundlichsten Gesetze der Welt, wer eine Arbeitsunfall hatte, ist z.B. anschließend 12 Monate unkündbar, auch wenn der Arbeitnehmer sich nach Feierabend den Knöchel im Fahrstuhl verstaucht hatte! Und diesen Fall kann ich belegen, wenn es nötig sein sollte, weil er kürzlich in einer von mir aufgebautem Firma passierte. Und das Streikrecht ist in der brasilianischen Verfassung verankert, was kürzlich noch von brasilianischer Seite dem VW - Konzernchef in Wolfsburg in Erinnerung gebracht wurde, der in Brasilien streikenden VW - Mitarbeitern mit der Kündigung gedroht hatte. Und warum wurde gestreikt? Weil die armen ausgebeuteten VWB - Mitarbeiter ihre unmenschlichen Arbeitsplätze, wo sie im Schnitt wesentlich mehr verdienen als ihre Kollegen in den rein brasilianischen Firmen, nicht verlieren wollten. Und es kommt wohl kaum Freude auf bei den bösen deutschen Konzernen, die in Brasilien die armen eingeborenen Sklaven (die Sklaverei wurde übrigens hier vor mehr als 100 Jahren abgeschafft) ausbeuten, weil sie in Brasilien über 100 % Lohnnebenkosten zahlen müssen. Wer hier wen ausbeutet, ist noch die Frage. Wörtliche Antwort eines betriebsbedingt entlassenen und gegen seinen ehemaligen ausländischen Arbeitgeber auf Überstundenzahlung klagenden Brasilianers auf die Frage, warum er denn klage, er hätte doch alle zustehenden Zahlungen erhalten: "Bei diesen (ausländischen) Blödmännern holt man doch immer noch etwas heraus". Auch dies belegbar durch Zeugenaussagen von Brasilianern.

Zur Abrundung noch drei Hinweise. Als ich gerade in Deutschland war, besuchte ich u.a. eine Schmiede, in der Pressen auf Dauerbetrieb eingestellt waren mit manueller Beschickung und Entnahme. Das findet man in deutschen Betrieben in Brasilien wohl kaum. Und wohin der Einfluß der Gewerkschaft führen kann, wenn er fehlgeleitet ist, zeigen zwei weitere Beispiele aus Deutschland. Ein Mitarbeiter, der einen Türschließer auf einer Baustelle montieren sollte, beantragte eine (von einem in der realen Welt lebendem Richter abgelehnte) einstweilige Verfügung gegen seinen Chef, damit er nicht zu Außeneinsätzen gezwungen werden könne. Und in einer anderen Firma kündigte ein vom Arbeitsamt geschickter neuer Mitarbeiter nach einer Woche, weil er grundsätzlich keine Überstunden mache und ihm der Arbeitsweg zu lang sei - 8 km! Meine Bitte an die (über-)eifrigen IG - Metaller: Geben Sie Ihre guten Gehälter gerne an der Copacabana im Urlaub aus, aber halten Sie sich zurück, was die brasilianische Arbeitswelt angeht. Aus gutem Grund mischen sich die Regierenden dieser Welt, wenn sie richtig beraten sind, nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. Und die IG Metall regiert doch noch nicht einmal, oder?

Ein Lichtblick für die Automobilindustrie, Ford hat per November im neuem Werk in Camaçarí in Bahia bereits 131.000 Fahrzeuge der Typen EcoSport und Fiesta montiert und damit die Planung für das ganze Jahr 2003, die 130.000 Einheiten vorsieht, schon übertroffen. 1.832 Mitarbeiter werden dort von Ford direkt beschäftigt, dazu kommen 3.691 Mitarbeiter der Zulieferindustrie. Diese umfaßt 27 Firmen, von denen 12 direkt an der Montagelinie arbeiten. Die für 2005 geplante tägliche Auslastung mit 850 Fahrzeugen wird heute mit 730 fast schon erreicht und man geht davon aus, daß in 2004 eine dritte Schicht eingeführt werden muß. 35 % der dieses Jahr gefertigten Fahrzeuge wurden nach Mexiko, Argentinien und Venezuela exportiert. Der Absatz von Ford Brasilien wuchs per November gegenüber dem gleichem Vorjahreszeitraum 13 %, bei einem Rückgang von 7 % des Gesamtautomobilmarktes. VW war wohl nicht ganz so glücklich, auf Platz 3 hinter GM und Fiat gelandet, wird der Firmenchef nach kurzer Amtszeit von ca. einem Jahr in Brasilien ab 1.1.2004 durch seinen südafrikanischen Kollegen ersetzt. Sein Vorgänger, der frühere Audichef in Deutschland, wurde mittlerweile zum Chef des Fiat - Konzerns in Turin berufen.

In Brasilien fahren bereits 600.000 Fahrzeuge mit Naturgas und bis 2008 soll diese Zahl auf 1,5 Millionen steigen, eine gute Chance für Umrüster. Dieser Sektor wächst seit 1998 um 40 % im Jahr! Am Treibstoffumsatz hat Naturgas heute einen Anteil von 5,4 %, der dann auf 15 % klettern wird. Leider kostet eine die Verteilung des Gases sehr viel Geld, eine einzige Pumpe für Naturgas kostet 1 Mio. R$, viel Geld für eine Tankstelle. Und der Gewinn der Gaslieferanten (Ceg in Rio, Comgás in São Paulo) ist im Haushaltsbereich sechsmal höher als im Tankstellenbereich. Dazu kommt, daß die gasbetriebenen Fahrzeuge mehr umweltbelastend als die sind, die das in Brasilien normale Benzin - Alkohol - Gemisch verwenden, weil die Industrie keine gasbetriebenen und dafür speziell ausgelegte Fahrzeuge anbietet.

Im Elektrosektor tut sich auch eine Menge. Wichtige Nachricht - die "Notfall-" Thermokraftwerke sollen regierungsseitig aus Kostengründen durch Wasserkraftwerke ersetzt werden. Die Regierung formulierte auch schon die Schwerpunkte für ihre "Industriepolitik" der nächsten Jahre, nämlich Halbleiter, Software, Pharmaerzeugnisse und Kapitalgüter. Wobei durchaus nicht nur böse Zungen sagen, die beste Industriepolitik ist, wenn die Regierung sich aus ihr heraushält. Die geplanten Stimulanzien werden nur temporär gewährt und sind an Auflagen wie Exportquoten, neue Arbeitsplätze und Regionalentwicklung gebunden.

Der Softwaresektor hat ehrgeizige Pläne. Fünfzehn wichtige brasilianische Softwarefirmen (E-Safetransfer, Apyon, Cimcorp, CPM, Disoft, Extol, Impactools, IT-Soluções, Linkware, Open Concept, Paradigma, Politec, Software Design, Stefanini und W3Pro) werden für 10 Mio. US$ ein gemeinsames Unternehmen in den USA gründen, um den dortigen Finanzsektor zu bedienen. Der Umsatz der neuen Firma, die noch keinen Namen hat, soll 2008 immerhin 200 Mio. US$ betragen, viermal mehr, als der Sektor 2001 exportiert hat. Die fünfzehn Gesellschafter beschäftigen heute in Brasilien 11.000 Mitarbeiter und machten 1,19 Mrd. R$ Umsatz in 2002. Da ist es eigentlich unverständlich, daß die Regierung nach wie vor exorbitante Importzölle erhebt, wenn man einen Laptop importiert. Ich zahlte vor kurzem 2.500 R$ Zoll nach Abzug des Freibetrages von 500 US$ vom Kaufpreis eines Laptops. So fördert man sicher nicht die Produktivität des Sektors.

Veracel baut seit August eine Zellulosefabrik in Südbahia und ist damit für die größte Privatinvestition in der bisherigen Amtszeit von Präsident Lula verantwortlich. Um künftig mit 10.000 direkten und indirekten Mitarbeitern jährlich 900.000 Tonnen Zellulose zu produzieren, werden 1,25 Mrd. US$ ausgegeben. Damit ist diese Fabrik die größte der Welt ihrer Art mit einer Produktionslinie. Ab 2010 sollen zwei weitere Fabriken dazukommen. Diese beiden Fabriken werden die Kapazität des 50/50 - Joint Ventures zwischen der brasilianischen Aracruz Celulose und der finnischen Stora Enso verdreifachen. Heute pflanzt die Firma Eukalyptusbäume auf 65.000 Hektar an, wird aber zukünftig neue Flächen hinzukaufen müssen. Aracruz ist die größte brasilianische Firma des Sektors und produziert heute 2,4 Mio. Tonnen Zellulose jährlich. Mit der neuen Fabrik werden es 3,1 sein, für die bereits 300 Mio. US$ für Erdarbeiten, Infrastrukturmaßnahmen und Aufforstung ausgegeben wurden.

Bahia ist offensichtlich ein attraktiver Standort, bis 2007 sollen 6 Mrd. US$ in diesem Bundesstaat für neue Fabriken investiert werden, in diesem Jahr allein 2,2. Laut Paulo Souto, dem Ministerpräsidenten, gibt es 84 unterschriebene Protokolle über Investitionsvorhaben. Dazu gehört eine Zylinderfabrik von Faber - Papais, die Ende 2004 fertig sein wird und eine Poliesterfertigung von Ledervin für 110 Mio. US$.

Daß der Weg zum Erfolg steinig sein kann, zeigt das Beispiel von NEC, dem Hardwarehersteller für Telekommunikationsnetze. Nach 35 (!) Jahren in Brasil registrierte die Firma erstmalig einen positiven Cash Flow. Das nächste Firmenziel ist die Umwandlung der Firma in einen Lieferanten von kundenorientierten Lösungen durch die Aufnahme von Integration von IP - Netzen und Fremdvergabe von Netzen ins Portfolio.

Auch Volkswirtschaften müssen dornenvolle Wege gehen, die brasilianische wird diese Jahr vielleicht schrumpfen, denn von August bis September betrug das BIP - Wachstum nur 0,4 %, ein Rückgang von 1,5 %. Dazu trug ein überraschender Rückschlag im Agrarsektor bei, der 6,7 % gegenüber der Vorjahresperiode August bis September schrumpfte. Außerdem geht es dem Bausektor sehr schlecht. Aber die Bundessparkasse kündigte bereits für das nächste Jahr Investitionen für 5,3 Mrd. R$ im Wohnungsbau und 1,4 Mrd. R$ für Sanierungsmaßnahmen an. Wenigstens wuchs der industrielle Sektor nach sechs Monaten kontinuierlichem Rückgang gegenüber dem zweiten Vierteljahr 2003 um 2,7 %.

In Deutschland wird viel über die Steuerreform diskutiert, in Brasilien auch. Wir haben bei der Einkommensteuer schon realisiert, was die CDU/CSU sich vorstellt, nämlich drei Steuersätze, der höchste von 27,5 % wurde gerade um zwei Jahre verlängert, eigentlich sollte er wieder auf die alten 25 % zurückgenommen werden, aber leider sind wir nicht in Kalifornien und haben keinen Arnold Schwarzenegger, der Erhöhungen seines Vorgängers zurücknimmt. Im Gegenteil, der Kaskadeneffekt bei der Cofins (Beitrag zur Finanzierung der Sozialversicherung) wurde zwar beseitigt, aber der Betrag von 3,5 % des Umsatzes auf 7,6 % heraufgesetzt. Das gibt 10 Mrd. R$ jährlich mehr für die Kasse der Regierung. Ursprünglich betrug der Wert bei der Einführung dieser Steuer 0,5 % und war für den Gesundheitssektor gedacht.

Der Handelsbilanzüberschuß wird dieses Jahr wahrscheinlich bei 22 Mrd. US$ liegen und für 2006 liegt das Exportziel bei 100 Mrd. US$. Die Prognose für 2004 liegt bei 80 Mrd. US$. Verwunderlich, daß trotzdem meine deutschen Kunden fast immer nur exportieren. aber nicht in Brasilien einkaufen wollen. Per Oktober 2003 exportierte Brasilien Waren im Wert von 60 Mrd. US$, davon gingen 15 Mrd. US$ in die EU, 14 in die USA und 10 in die Aladi - Staaten. Die Automobilhersteller exportierten per Oktober 30 % ihrer Produktion, die 1,502 Mio. Fahrzeuge betrug. Das sind 3,8 % weniger als im gleichem Vorjahreszeitraum. Verkauft wurden 1,154 Mio. Fahrzeuge, hier betrug der Rückgang sogar 8,1 %. Die zehn wichtigsten Exporteure sind Petrobrás, Bunge Alimentos, Vale do Rio Doce, Embraer, VWB, Cargill Agrícola, GM, Cia. Siderúrgica de Tubarão, Aracruz Celulose und ADM.

Korruption wird zwar öffentlich angeprangert (was früher nicht oder nur wenig der Fall war), ist aber immer noch weitverbreitet. So wurden in einem armen Bundesstaat im Norden Brasiliens 5.000 Scheinarbeitnehmer des öffentlichen Dienstes geschaffen und so ca. 300 Mio. R$ "umgeleitet". Übrigens unter einem Ministerpräsidentem, der der regierenden Arbeiterpartei angehört. Und zur Zeit macht der offensichtlich sehr lukrative Verkauf von Gerichtsurteilen Schlagzeilen. Dabei ist Rechtssicherheit eine Grundvoraussetzung für Geschäfte. Und seien Sie vorsichtig mit dem Versand von Prospekten, ein Kunde von mir hielt neulich einen Vortrag bei der Editora Abril und schickte Prospekte vorab, um sie nicht im Flugzeug als Gepäck mitzuschleppen. Der Zoll hielt diese für so wertvoll, daß er einige tausend US$ Importgebühren dafür verlangte. Bei Mustersendungen verhält es sich oft ähnlich. Andere Sendungen gleicher Art kommen aber auch ohne Probleme und ohne Gebühren an.

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