20 April 2006

Sollen die Deutschen jetzt nach Brasilien auswandern?

Wenn man am 8.10.2004 in der FAZ den Artikel mit der Überschrift „Standort: Niederschmetternde Bilanz und der letzte Platz für Deutschland“ und jetzt am 20.4.2006 den Folgeartikel „Standort: Deutschland behält die rote Laterne“ gelesen hat, ist man sicher versucht, sofort die Koffer zu packen. Aber bevor Sie die Reise nach Brasilien antreten, prüfen Sie zunächst die Flugpreise, die Lufthansa ist teuer, aber fliegt, die Varig ist billiger, aber pleite. Und die Verhältnisse in Brasilien sind auch nicht so paradiesisch, wie man sie sich beim Betrachten der schönen und bunten Reiseprospekte vorstellt. Ohne groß Zahlen zu nennen, die kennen Sie aus meinen früheren BRASILIEN AKTUELL - Beiträgen, möchten ich auf einige brasilienspezifische Probleme eingehen. ich weiß, damit schade ich mir selbst, denn damit schrecke ich die Kunden meiner Firma Eurolatina ab, die erwägen, sich beim Weg nach Brasilien von ihr helfen zu lassen. Aber besser, zwei unsichere Kantonisten springen ab und ein Realist macht über uns Geschäfte in Brasilien.

Fangen wir mit der Inflation an. Deutschland hat den T€, was hier nicht Tausend Euro, sondern Teuro heißen soll. Ich merke dies bei meinen häufigen Deutschlandaufenthalten, 1,00 DM = 1,00 € ist garnicht so weit hergeholt. Aber wir in Brasilien haben auch Inflation, in der Größenordnung von 5 % (Erinnern Sie sich noch? Ein SPD-Kanzler sagte es vor ca. 30 Jahren, lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit!) im Jahr, was hier aber im Gegensatz zu Deutschland zu den höchsten Realzinsen (sollte ich Wucherzinsen sagen?) führt. Und die haben mit weit über 100 % im Jahr nichts mit dem Leitzins von heute 15,75 % im Jahr zu tun.

Nehmen wir uns die Steuern vor. Neben der immensen Steuerbelastung in Brasilien kommt die hohe Komplexität des Steuersystems, welches für In- und Ausländer gleichermaßen schwierig zu durchschauen ist. Hier auf eine Reform zu warten, ist müßig wegen der widerstreitenden Interessen der zu involvierenden Politiker.

Und diese bilden das nächste Thema. Gestern wurde wieder ein Parlamentarier vom Vorwurf der Bestechlichkeit und Geldwäsche freigesprochen bzw. das Parlament folgte der Aufforderung seines Ethikausschusses nicht, diesem Abgeordneten das Mandat zu entziehen. Zwar stimmten mehr Angehörige des hohen Hauses dafür als dagegen, aber die Mindeststimmenanzahl wurde nicht erreicht, die für einen Mandatsentzug vorgeschrieben ist.

Paradoxerweise verwickelt sich die Regierung und die Partei des Präsidenten immer mehr in eine Folge von Korruptionsskandalen der schlimmsten Sorte, ohne daß das Image des Präsidenten angekratzt wird. Konformismus? Unwissenheit? Wer weiß!

Kriminalität und Arbeitslosigkeit sind weitere Probleme, dazu kommen eine prekäre Infrastruktur, eine - was die Lösung der erwähnten Probleme angeht - einfallslose Regierung, eine Sozialversicherung ohne Geld (deren Leistungen ohne Not an das Mindesteinkommen geknüpft sind), ein aufgeblähter Öffentlicher Dienst, eine nicht soziale, sondern eine völlig außer Kontrolle geratene sozialistische - anarchistische - kriminelle - kommunistische - trotzkistische - leninistische - stalinistische (suchen Sie sich aus, was Sie wollen, alle Begriffe passen) Agrarreformbewegung (die sogenannten Landlosen) und eine zum Teil beeinflußbare und äußerst langsame Justiz. Um Mißverständnissen vorzubeugen, ich habe absolut nichts gegen soziale Bewegungen! Im Gegenteil!

Und vergessen wir nicht die Streiks der Zöllner, der Bundespolizeibeamten, der Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde ANVISA, der Lehrer ... wer arbeitet eigentlich noch hier?

Also, lieber in Deutschland bleiben? Wenn Sie mich fragen, ja, nämlich wenn Sie Auswanderungsgedanken haben und in Brasilien ohne Landes- und Sprachkenntnisse und ohne finanzielle Reserve von Null anfangen wollen. Das wäre ein Abenteuer, was Sie nicht eingehen sollten. Abgesehen davon, daß Brasilien kein Einwanderungsland mehr ist und es der Immigration Hürden entgegensetzt, die nicht einfach zu bewältigen sind.

Aber wenn Sie von Deutschland aus Geschäfte in Brasilien machen wollen, dann sollten Sie kommen. Denn im Gegensatz zu Deutschland wächst das Land und seine Bevölkerung, sind seine Bewohner trotz aller Misere lebensfroh und in ihrer Grundhaltung optimistisch, niemand streikt hier in der Privatwirtschaft für weniger Arbeitszeit - im Gegenteil, wer Arbeit hat, ist froh und versucht diese zu behalten! Und gute Geschäfte kann man machen, das können Ihnen die Chefs von ca. 1.300 Niederlassungen deutscher Firmen in Brasilien bestätigen. Sogar an der Börse gilt dies, auch hier kann man zumindestens jetzt im Schnitt mehr verdienen als in Deutschland. Also kommen Sie! Aber lassen Sie sich begleiten, man muß nicht ohne Not Risiken eingehen.

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