25 September 2010

Brasilien im Shoppingrausch

In der heutigen Internetausgabe der Financial Times Deutschland steht der nachstehende Artikel, den ich wegen seiner Wichtigkeit im Original (ohne Fotos) wiedergebe. Aufmerksam gemacht hat mich auf den Artikel mein Projektpartner in Venezuela, Herr Eike Ingo Friese.


Die Mittelschicht in dem südamerikanischen Land zählt bald schon 40 Millionen Menschen, die ihr Geld lieber ausgeben als zu sparen. Das könnte Brasilien schon 2014 zur weltweit fünftgrößten Konsumentennation aufsteigen lassen. 
von Susann Kreutzmann, São Paulo und Martin Kaelble, Berlin
Brasiliens wachsende Mittelschicht verheißt den internationalen Konsumgüterherstellern riesige Marktchancen. Laut einer jetzt veröffentlichten Studie der Getulio-Vargas-Stiftung werden in den kommenden vier Jahren 36 Millionen Brasilianer in die untere Mittelklasse aufsteigen. Und sie geben ihr Geld lieber aus als zu sparen. Damit dürfte binnen Kurzem der weltweit fünfgrößte Konsumentenmarkt nach den Vereinigten Staaten, Japan, China und Deutschland entstehen.
Zwischen 2003 und 2008 hat die neue Mittelklasse schon 32 Millionen Menschen hinzugewonnen. "Das bedeutet, innerhalb von elf Jahren wird die Mittelklasse um die Einwohnerzahl von ganz Großbritannien angestiegen sein", erklärte Marcelo Neri, Chefökonom am Zentrum für Sozialwissenschaften der Getulio-Vargas-Stiftung in Rio de Janeiro. Zugleich dürfte sich die Armut bis 2014 in Lateinamerikas größter Volkswirtschaft um 50 Prozent reduzieren.
Zum wachsenden Wohlstand hat neben dem Rohstoffreichtum des Landes auch die Politik beigetragen. In den vergangenen Jahren entwickelte sich die Wirtschaft robust und ist durchschnittlich um 4,8 Prozent gewachsen. Brasilien hat auch die globale Finanzkrise vergleichsweise gut überstanden - dank einer aktiven Wirtschaftspolitik. 2010 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Schätzung der Bank of America Merrill Lynch um 7,1 Prozent steigen - auch für brasilianische Verhältnisse ein spektakuläres Ergebnis.
Hinzu kommen Einkommenssteigerungen: In der Ära von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wurde der staatlich festgesetzte Mindestlohn verdoppelt und beträgt heute 510 Real (217,40 Euro) monatlich. Die Zahl der Arbeitsplätze - verbunden mit mehr Einkommenssicherheit - ist im gleichen Zeitraum um 29 Millionen gestiegen.
Für die Industrie ist das Wachstumspotenzial durch die rasant wachsende Mittelschicht enorm. Eine Untersuchung der Unternehmensberatung Boston Consulting Group zeigt, dass vor allem die Lebensmittelbranche profitiert: Deren Umsätze dürften zwischen 2008 und 2014 um 66 Prozent wachsen.
Gewinnen dürften aber auch die Bekleidungsindustrie, Produzenten von elektronischen Geräten und die Autobranche, ebenso wie Brasiliens Fluggesellschaften: Die Zahl der Inlandsflüge könnte laut Ökonom Neri innerhalb der kommenden sechs Jahre um 77 Prozent steigen. In diesem Jahr gaben zehn Prozent aller Fluggäste der größten Inlandsfluggesellschaft Gol an, zum ersten Mal geflogen zu sein. Die Tendenz ist steigend.


Brasiliens neue Mittelklasse ist ausgesprochen konsumfreudig und das sehr gerne auf Pump. Die Shoppingcenter in den Peripherien der Großstädte schießen wie Pilze aus dem Boden und locken die neue Mittelklasse-Kundschaft mit speziellen Angeboten. Fast jedes Produkt lässt sich in bis zu 36 Monatsraten finanzieren. Inzwischen werden 60 Prozent aller Produkte in Brasilien auf Kredit gekauft, von Turnschuhen über CDs bis hin zu Kosmetik. Sparen ist dagegen nicht die Sache der neuen Aufsteiger. "In Brasilien gibt es keine Tradition des Sparens. Der Mehrverdienst wird ausgegeben", sagte Neri.


Der Lohnanstieg der vergangenen Jahre hat somit direkt den Konsum befeuert. "Nicht nur das aktuelle Einkommen ist für den Konsum entscheidend", sagte Fábio Gomes, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut Insper in São Paulo. Ebenso wichtig sei die Aussicht auf ein höheres Einkommen in naher Zukunft. Diese Perspektive war und ist in Brasilien zweifellos vorhanden.


Trotz des außergewöhnlichen Wachstums der Mittelschicht bleibt die Ungleichheit in dem südamerikanischen Land ausgeprägt. "Brasilien ist weltweit unter den Top Ten der größten Ungleichheit bei der Einkommensentwicklung", betonte Neri. Auch wenn das derzeitig hohe Wirtschaftswachstum anhält und die Einkommen dementsprechend steigen, würde es laut Neri noch 30 Jahre dauern, bis Brasilien ein Niveau der Einkommensverteilung wie in den Vereinigten Staaten erreicht haben wird.




Interessant ist für mich, dass im Firmenpool Brasilien / Mercosur der IHK Essen praktisch keine deutschen Firmen der Konsumgüterbranche vertreten sind. Hoffentlich wird da ein Trend nicht verschlafen! Aber es gibt rühmliche Ausnahmen, so gibt es ein Poolmitglied, welches hochwertige Badezimmer-Armaturen in Brasilien verkaufen will und hoch zufrieden von einer ersten Erkundungsreise nach Brasilien zurückkehrte.

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