29 Dezember 2010

Kommt Lula wieder?

Am Samstag bekommt Brasilien eine neue Präsidentin - vorerst.


Noch immer sind 87 Prozent der Brasilianer für Lula. Ein Comeback schließt er nicht aus.


Es mutet ein bisschen an wie das unfreiwillige Ende einer Liebesaffäre. Ein großes Abschiedsfest im Sambadrom von Rio, wo die "Lula, Lula"-Rufe die Musik seiner Lieblingssänger übertönten; eine emotionsgeladene Abschiedsrede an die Nation; ein rührseliger Film über das Leben des Gewerkschaftsführers, der Brasilien zur Weltmacht führte. Nach acht Jahren Amtszeit sind 87 Prozent der Brasilianer mit ihrem Präsidenten zufrieden, doch am Samstag ist es aus: Dann wird Luiz Inácio "Lula" da Silva die Schärpe seiner gewählten Nachfolgerin Dilma Rousseff umlegen. Für seine ehemalige Ministerin und politische Ziehtochter, von der "nur" 62 Prozent der Bevölkerung eine gute Regierung erwarten, rührt Lula seit Wochen die Werbetrommel. Der "Companheira" gebühre die größtmögliche Unterstützung, dann könne nichts und niemand Brasilien auf seinem siegreichen Weg aufhalten, sagte Lula in seiner Abschiedsrede. Elf Minuten brauchte er, um die Erfolge seiner Amtszeit aufzuzählen: 28 der fast 200 Millionen Brasilianer schafften den Sprung aus der Armut, 36 Millionen den Aufstieg in die Mittelschicht, 15 Millionen neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Brasilien wurde zur achtgrößten Volkswirtschaft der Erde, wandelte sich vom Schuldner zum Gläubiger des Internationalen Währungsfonds (IWF), der brasilianische Real gilt als eine der härtesten Währungen der Welt.


Lula Superstar. Seine Lebensgeschichte hätte sich Hollywood nicht schöner ausdenken können. Der Analphabet und Hungerflüchtling aus dem Nordosten, der in einer Fabrik das oberste Glied seines Zeigefingers verlor, als linker Gewerkschaftsführer unter der Militärdiktatur im Gefängnis landete und nach langem Kampf Präsident wurde. Doch nicht alle teilen die Lula-Manie.


Man dürfe seine Rolle nicht überbewerten, warnt keine Geringere als Lulas langjährige Umweltministerin Marina Silva. "Brasilien ist mehr als Lula", sagt sie. Der habe von der Stabilisierungspolitik seines Vorgängers Fernando Henrique Cardoso profitiert. Seiner Nachfolgerin hinterlässt Lula ein weiterhin äußert ungleiches Land, in dem absolute Marginalität, brutalste Gewalt, sklavenartige Ausbeutungsverhältnisse und politisches Mittelalter koexistieren mit einer pulsierenden Volkswirtschaft. Auch für die Umwelt zeigte Lula wenig Interesse - weshalb Marina Silva und andere wie der Befreiungstheologe Leonardo Boff sich mit ihm überwarfen.


Unternehmer kritisieren ausgebliebene Strukturreformen, den Hang zum Staatsdirigismus und die prekäre Infrastruktur. Ausländische Investoren beklagen die ausufernde Bürokratie und die hohen Steuern. "Bei der Business-Effizienz steht Brasilien schlechter da als der Rest Lateinamerikas", sagt Alberto Bernal-Leon, Chefvolkswirt beim Finanzdienstleister Bulltick. Der Schulterschluss mit Paria-Ländern wie Iran und Lulas enge Beziehungen zu Kuba und Venezuela ließen Vorbehalte in Washington und Brüssel wachsen.


Viele haarige Reformen für Rousseff, die auf ihrem Weg zur Präsidentschaft nicht nur eine Krebserkrankung besiegte, sondern auch den Machismus. Nun könnte ihr größtes Problem aber ausgerechnet ihr Mentor Lula werden. Zwar kann er laut Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit in Folge kandidieren, doch hielt er sich jüngst in einem Interview die Option offen, sich 2014 erneut um die Präsidentschaft zu bewerben. Ein Schachzug, mit dem er seine Nachfolgerin als bloße Platzhalterin schwächt.

Quelle: Die Welt vom 29.12.2010

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